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Aus: Helmut Berding, Das Königreich Westphalen als napoleonischer Modell- und Satellitenstaat (1807–1813), Vortragsmanuskript (wird 2005 veröffentlicht in einem Tagungsband):


„In Westphalen war es der grundbesitzende Adel, der den ersten Platz in der Gesellschaft einnahm und zwangsläufig in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens seine Dominanz zur Geltung brachte. Aus seinen Reihen rekrutierten sich die meisten Mitglieder der westphälischen Regierung und des Staatsrats. Er spielte eine bestimmende Rolle in der Verwaltung, auf ihm lag auch, da er die Liste der Höchstbesteuerten anführte, das Schwergewicht in den Reichsständen. Folglich konnte das neue Regime nicht auf die Unterstützung dieser sozialen Führungsschicht verzichten. So blieb die Grundherrschaft, die materielle Basis ihrer Existenz, im Wesentlichen unangetastet, und dieser Teil des Reformprogramms verschwand vorerst von der Tagesordnung, obwohl er im modellstaatlichen Konzept perspektivisch von großer Bedeutung war.
Gleichwohl büßte der Adel durch die Einführung der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Gleichheit manche seiner Privilegien ein. Er verlor seine herausgehobene Stellung als Stand. An einer Verteidigung der neuen Ordnung konnte ihm deshalb schwerlich gelegen sein. Ohne sich, wie etwa in Preußen, offen und wirkungsvoll zu einer Adelsopposition zu formieren, trug der Adel dennoch dazu bei, den Reformprozeß aufzuhalten. [...]

Im diametralen Widerspruch zur Modellstaatspolitik stand auch die napoleonische Gesellschaftspolitik. Der Kaiser hatte schon vor der Gründung des Königreichs Westphalen damit begonnen, zur Stabilisierung seiner Herrschaft in Frankreich einen neuen Militär- und Verdienstadel zu kreieren. Um diese gesellschaftliche Stütze der monarchischen Machtstellung fest zu verankern, sollte sie auf ein tragfähiges Fundament gestellt werden. Napoleons Vorstellung war, die neue Herrschaftselite mit eigentumsrechtlich privilegiertem Grundbesitz, mit Majoratsgütern, auszustatten. Doch hatte der Umsturz der agrarischen Eigentumsverhältnisse durch die Französische Revolution solchen Bestrebungen in Frankreich enge Grenzen gezogen. Nach der Enteignung von Adel und Kirche standen hier grundherrschaftliche Güter nicht mehr zur Verfügung. Hingegen mangelte es in den von der Revolution unberührten Ländern, den von Napoleon eroberten Gebieten zwischen Weser und Elbe, nicht an Domänengütern, auf denen ein großer Teil der landesherrlichen Einkünfte beruhte. Napoleon zögerte nicht, sich in Westphalen das Eigentums- und Verfügungsrecht über die Hälfte dieser Güter anzueignen. Sie wurden mit allen darauf ruhenden grundherrschaftlichen Rechten und Erträgen an französische Marschälle, Generäle und Minister verschenkt. Das Königreich Westphalen verlor durch die Abtretung der Dotationsdomänen wichtige Einnahmequellen, was erheblich zum finanziellen Ruin des Landes beitrug. Die Staatsfinanzen gerieten in Unordnung, die Steuerschraube mußte ständig angezogen werden. Obendrein erhöhte der andauernde Kapitalabfluß, der Transfer der Einkünfte aus den Dotationsdomänen nach Frankreich, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Damit nicht genug. Die von Paris aus gesteuerte Verwaltung der kaiserlichen Domänen schob allen Reformen, die an den zumeist grundherrschaftlich begründeten Einnahmen der Donatare rührten, einen Riegel vor. Es besteht kein Zweifel: Die napoleonische Schenkungspolitik befand sich in einem eklatanten Widerspruch zu den Modellstaatsplänen. “

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