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Aus: Jörg van Norden, ???, in: ???, S. ???:


„Neben der Steuerfreiheit war die Befreiung von der Wehrpflicht, der ‚Conscription‘, ein attraktives Privileg der Geistlichen. Dieses Vorrecht blieb den Pfarrern sowohl im Großherzogtum Berg wie auch im Königreich Westfalen erhalten. Allerdings sollten sich die Kandidaten der Theologie, die bisher ebenfalls eximiert waren, im Großherzogtum Berg ab 1807 der Conscription unterziehen. Als Kandidaten galten diejenigen Geistlichen, die ihr Universitätsstudium und eventuell auch ihre Examina pro licentia und pro ministerio concionandi absolviert hatten, aber noch nicht in eine Pfarrstelle gewählt und ordiniert worden waren.
Vielleicht weil der Grad der Selbstrekrutierung innerhalb der Pfarrerfamilien relativ hoch war, setzten sich die Synoden vehement für die Exemtion der Kandidaten ein. Die Väter intervenierten gewissermaßen für ihre eigenen Söhne, die beruflich in ihre Fußstapfen treten wollten. Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Steuerpflicht argumentierte man mit erheblichen Nachwuchsschwierigkeiten des Pfarrerstandes, verwaisten Gemeinden und sinkender Religiösität des Volkes. Zusätzlich zu den Synoden wurden in dieser Sache auch viele Geistliche persönlich aktiv und verwendeten sich in Gutachten und Bittschriften für die Kandidaten, die sie in der Vorbereitung auf die Examina betreuten. Innenminister von Nesselrode-Reichenstein lehnte alle Anträge ab und war lediglich zu der Konzession bereit, das neue Wehrpflichtgesetz nicht rückwirkend in Kraft zu setzen, so dass diejenigen Kandidaten, die ihr Examen pro ministerio vor 1807 abgelegt hatten und damit wahlfähig waren, nicht gezogen wurden. Gleichzeitig betonte er aber, dass alle übrigen sich erst der Conscription unterziehen mussten, bevor sie sich in einer Kirchengemeinde bewarben. Ansonsten werde der Staat sein Placet zu der Besetzung der Pfarrstelle verweigern. Dieses Placet gehörte traditionell zu den iura circa sacra der Obrigkeit. Den Kandidaten im Großherzogtum Berg blieb lediglich die Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freizukaufen9.
Im Königreich Westfalen blieben dagegen ‚die sich meldenden Candidaten des Predigtamts, theologischen Studenten, Schullehrer und Mitglieder der Seminarien [...] nach Seiner Königlichen Majestät allergnädigsten Intention von der Militär-Pflicht befreit‘. Mit ‚Meldung‘ ist gemeint, dass sie die Befreiung ausdrücklich in Anspruch nehmen und sich in die entsprechenden Listen eintragen lassen mussten. 1808 informierte der reformierte Hofprediger Mann, Bielefeld, dem Präfekten des Weserdepartements, bei ihm habe sich kein ‚Subjekt‘ in dieser Sache eingefunden. Thimme führt im Gegensatz zu den zitierten Quellen aus, dass die Kandidaten und Studenten der Theologie nicht eximiert worden seien.
Die ordinierten Pfarrer blieben von den Conscription befreit. Zusätzlich entband man sie wie auch die Lehrer 1809 von der Naturaleinquartierung, d.h. der Verpflichtung, gegebenenfalls Soldaten in ihrem Haus unterbringen zu müssen, wenn sie ein Ersatzquartier stellten. Das entsprechende königliche Dekret argumentierte u.a. damit, dass Pfarrer und Lehrer wie auch ihre Häuser vorbildlich an ‚Reinheit der Sitten‘ sein sollten und dies mit der ‚freieren Lebensweise der Militair-Personen‘ nicht zu vereinbaren sei. Thimme ergänzt, dass die Befreiung von der Naturaleinquartierung erst auf die massive Intervention des Innenministers von Wolfrath erfolgt sei. Gewissermaßen im Gegenzug zu den genannten Privilegien wurde von den Pfarrern verlangt, die Conscription zu unterstützen. Die entsprechenden Listen mussten vierteljährlich nach dem Gottesdienst vom Küster laut verlesen werden. Als sich immer mehr junge Männer dem Wehrdienst entzogen, wurden die Pfarrer aufgefordert, ‚die wiederspennstigen Conscribirten zur Erfüllung ihrer Pflicht nach dem Willen des hohen Gouvernements zu mahnen‘. Desgleichen mussten sie Dekrete z.B. die Amnestie für reumütige Deserteure und Vergeltungsmaßnahmen gegen die Verwandten Fahnenflüchtiger von der Kanzel bekannt geben. Der Staat instrumentalisierte Kirche als Legitimationsinstanz seines Handelns.“

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