[ Start | Politik | Verfassung | Der König | Die kaiserlichen Familien-Statuten ]
   
  zurück
Aus: Armin Owzar, Wider den „patriachalischen Schlendrian“ – Napoleonische Verfassungspolitik in Westfalen, in: „Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians“ ... , S. 303, 305:


Umstritten ist, wie die in der Verfassung entworfene politische Ordnung bewertet werden soll. Der sechste Artikel bestimmte Napoleons jüngsten Bruder Jérôme, Hieronymus auf deutsch, zum Souverän. Napoleon hatte allerdings mit Artikel 7 eine Klausel eingefügt, der zufolge der ‚König von Westphalen und seine Familie‘ in allen sie betreffenden Angelegenheiten ‚den Verfügungen der Kaiserlichen Familien-Statuten unterworfen‘ waren. Immer wieder ist daraus auf die absolute Abhängigkeit des westphälischen Königs geschlossen worden. Tatsächlich hat Jérôme sich mehr als einmal den Anordnungen seines großen Bruders zu widersetzen verstanden. Doch hatte sich dieser einen weitreichenden Zugriff auf den Staatshaushalt vorbehalten. Von einer vollen Souveränität Jérômes oder seines Königreiches konnte keine Rede sein.

Wohl gab es seinerzeit auch Gegenstimmen. ‚Armeen müssen gekleidet, genährt, bezahlt, bewaffnet und belohnt werden‘, rechtfertigte etwa der Herausgeber der Annalen des Königreichs Westphalen die im dritten Artikel auferlegten Kriegssteuern. Und weiter: ‚Dem Himmel sey Dank, daß kein Tilly, kein Wallenstein, kein Louvois mehr Mord und Raub gegen die unbewaffneten Bewohner der Hütten und Palläste organisiren. Die Wuth des Krieges ist in unsern Tagen selbst menschlicher geworden. Der Menschlichste unter allen Feldherren, seit Jahrtausenden, ist zweifelsohne Napoleon der Einzige.‘ Mochten solche apologetischen Kommentare bei manchem Zeitgenossen verfangen: der ruinierenden Folgen der Militärpolitik für den Staatshaushalt mußte sich schließlich auch der glühendste Verehrer Napoleons bewußt werden. Kriegskontributionen, Zwangsrekrutierungen und Truppenstationierungen, aber auch die Auswirkungen der Kontinentalsperre und die luxuriös-verschwenderische Hofhaltung in Kassel bedrückten das Land. Zusehends sollte der Satellitenstaat den Modellstaat überlagern: ‚der fortschrittliche‘ Charakter des napoleonischen Zeitalters verblaßte zunehmend vor den militärdiktatorischen und ausbeuterischen Seiten der französischen Machtexpansion.‘

Daß diese Entwicklung verfassungsrechtlich gedeckt war, hat die Konstitution des Königreichs um ihren von Napoleon angestrebten Nimbus gebracht. Freilich sollte man über diesen essentiellen Konstruktionsfehler nicht die übrigen Artikel der Verfassung vergessen, die weitaus moderner waren, als die meisten Historiker heute einzuräumen bereit sind. ...“

Zum Seitenanfang 
 
Der LWL -  Freiherr-vom-Stein-Platz 1 -  48133 Münster -  Kontakt -  Impressum