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Dekret zur Aufhebung der Leibeigenschaft, veröffentlicht im Westphälischen Moniteur vom 31.1.1808:

„Erster Titel.
Von der Aufhebung der Leibeigenschafts-Rechte und Verbindlichkeiten.

Art. 1.
Alle Leibeigenschafts-Verbindlichkeiten werden betrachtet, und als solche aufgehoben

1) blos persönliche Dienste oder Personal-Frohnen, das heißt: solche, die einer Person einzig aus dem Grunde obliegen, weil sie Vasall ist, oder einen gewissen Ort bewohnt;
2) alle Dienste, die zwar in Rücksicht des Besitzes eines Grundstückes obliegen, aber unbestimmt, und von der Willkühr dessen, der sie zu fordern hat, abhängig sind;
3) die Verbindlichkeit der Bauern, in dem Hause ihres bisherigen Herrn als Gesinde zu dienen, und das sogenannte Gesinde-Zwang-Recht, vermöge dessen ihre Kinder genöthiget werden können, bey keinem andern als dem genannten Herrn in Dienst zu treten;
4) die Verbindlichkeit zur Eingehung einer Heyrath die Einwilligung des bisherigen Herrn einzuholen, und an diesen die unter der Benennung von Bedemund, Brautlauf, Klauenthaler, oder einem sonstigen Namen für eine solche Einwilligung zu bezahlende Abgabe zu entrichten.

Art. 2.
Dem bisherigen Herrn steht kein Recht zu, in Ansehung der Erziehung und Bestimmung der Kinder des Bauern. Auch kann er ihnen weder die Verbindlichkeit auflegen, den Bauernstand und das Gewerbe ihrer Eltern nicht zu verlassen, noch sie verhindern, sich außerhalb des Bauerngutes niederzulassen.

Art. 3.
Er kann von seinen Bauern den Eid der Treue und Unterthänigkeit nicht fordern.

Art. 4.
Er kann sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gegen ihn, sofern diese ferner bestehen, weder durch körperliche noch durch Geldstrafen nöthigen; er kann sich nur an die Gerichte wenden, da der Dienst-Zwang und jedes andere Recht dieser Art aufgehoben ist.

Art. 5.
Dem Bauern steht es frey, das Guth zu verlassen, und dessen Besitz aufzugeben, auch sich an irgend einem andern Orte niederzulassen, wenn er nur sein Vorhaben zeitig und mit Beobachtung einer schicklichen Frist anzeigt.

Art. 6.
Aufgehoben ist ferner das unter den verschiedenen Benennungen von Sterbfall, Festhaupt, Curmede, so wie überhaupt unter dem Namen des Mortuarii bekannte Recht, einen Antheil an dem Mobiliar-Nachlasse der Frau eines verstorbenen Bauern zu verlangen, und an der Erbfolge in die Mobilien, das Vieh und die Baarschaft des Bauern selbst Theil zu nehmen.

Art. 7.
Die Bauern sind fähig, Rechte und Güter mit vollem Eigenthume zu erwerben, und darüber sowohl durch Verträge, als durch letzte Willensverordnungen, den Vorschriften des Code Napoleon gemäß, zu verfügen.
Sie sind gleichgestalt fähig, vor Gericht aufzutreten, und ihre Rechte, gegen wen es auch sey, zu vertheidigen.

Art. 8.
Gemeinds-Dienste oder sogenannte Commun-Frohnen, welche blos zum Nutzen der Gemeinden abzwecken, desgleichen die unter dem Namen von Burgfesten- und Landfrohnen zu Bedürfnissen des Staats zu leistenden Dienste, sind nicht aufgehoben.

Zweyter Titel.
Von den auf den Grundstücken haftenden Verbindlichkeiten.

Art. 9.
Die bisherigen Herrn behalten das Ober-Eigenthum (dominium directum) und alle diejenigen Rechte, welche nicht, als von der Leibeigenschaft abhängig, aufgehoben sind, sondern in Abgaben und Verbindlichkeiten bestehen, die mit der Constitution verträglich und als Preis der Ueberlassung des nutzbaren Eigenthums (dominium utile) zu betrachten sind, namentlich:
die Zinsen, Renten, Zehnten, Geld- und Natural-Abgiften, ja selbst die Verbindlichkeit, für den bisherigen Herrn zu arbeiten und zu fahren, vorausgesetzt, daß die Anzahl der Tage und der Umfang der Arbeit entweder durch die Ueberlassungs-Urkunde, oder sonstige in die Hebe-Register eingetragene Anerkennungen und Erklärungen, bestimmt ist.

Art. 10.
Ist der Bauer an einem solchen Tage, wo er für den bisherigen Herrn hätte arbeiten müssen, zu einem öffentlichen Burg-Landfrohn oder Commun-Dienste gebraucht worden, so ist er weder seine Stelle vertreten zu lassen, noch an einem andern Tage zu arbeiten, verbunden.

Art. 11.
Ohne Einwilligung des bisherigen Herrn kann er jedoch das Grundstück nicht veräußern, vertauschen, zerstückeln, noch mit einer Dienstbarkeit oder Hypothek beschweren, sofern ihn nicht die Ueberlassungs-Urkunde oder das Hebe-Register dazu berechtigen.

Art. 12.
Auch muß er das bey der Veränderung des Besitzers und in den durch die Verträge oder Hebe-Register bestimmten Fällen zu zahlende Antritts-Geld, den sogenannten Weinkauf, wie seither, entrichten.

Art. 13.
Alle bestehen bleibende Grundgerechtsame sind durchaus ablösbar, und zwar entweder mittelst gütlicher Uebereinkunft oder nach dem noch zu bestimmenden Maastabe.

Art. 14.
Unser provisorischer Minister der Justiz und des Innern ist mit der Vollziehung der gegenwärtigen in das Gesetz-Bulletin einzutragenden Verordnung beauftragt.
Gegeben in Unserm Königlichen Pallast zu Cassel am 23ten Januar 1808, im 2ten Jahr Unserer Regierung.“




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