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Auszüge aus der Schrift „Belehrung des Bauern-Standes über die demselben ... verliehenen Rechte ...“ von Arnold Mallinckrodt, 1811:


„Einleitung.

1. Geschichts-Erzählung.

Als die Kaiserliche Verordnung vom 12ten December 1808, betreffend die Abschaffung der Leibeigenschaft und der daraus entsprungenen Verbindlichkeiten, nahmentlich auch der Hand- und Spanndienste, in den Kirchen des Großherzogthums publicirt worden war, glaubten die Bauern der ehemahligen Grafschaft Mark, daß jene Verordnung auch zu ihren Gunsten erlassen, und die Hand- und Spanndienste allgemein abgeschafft seyen. Sie glaubten dieses vornehmlich in den Artikeln 19, 20 und 21. der Kaiserlichen Verordnung zu finden. Wirklich unterließen auch mehrere die Leistung der bisherigen Hand- und Spanndienste, wurden aber von ihren Hofesherren eingeklagt und verloren in den ersten Instanzen.
Dieses brachte bey Einigen den Entschluß hervor, dem Kaiser selbst eine Bittschrift überreichen zu lassen, um durch eine Kaiserliche Bescheidung zu erfahren, ob es die höchste Absicht des Gesetzgebers sey, daß jene Verordnung auch auf sie, die Besitzer der Leib- und Zeitgewinngüter, einer Gattung Bauerngüter, welche in der ehemahligen Grafschaft Mark, so wie in den ehemahligen Grafschaften Dortmund und Limburg die allgemeinste und gewöhnlichste, zugleich aber auch in mehreren andern Gegenden des Großherzogthums bekannt ist, Anwendung finde? Einer von ihnen entschloß sich, die Bittschrift dem Kaiser zu überreichen, Johann Giesbert Alef zu Westerfilde, ein gescheidter, muthiger, junger Mann von 30 Jahren. [...]

Alef reiste Anfangs Januar dieses Jahrs ab. Sechs Monathe dauerte sein Aufenthalt in Paris ohne Erfolg, aber er verlor den Muth nicht. Endlich, nach vielen vergeblichen Versuchen, hatte er den 9ten July das Glück, Sr. Kaiserlichen Majestät selbst zu St. Cloud die Bittschrift zu überreichen, eben als der Monarch an der Seite Seiner erhabenen Gemahlin im Begriff war auszufahren. Beyde Majestäten saßen in Einem Wagen, und hatten nur eine kleine Begleitung bey sich. Der Kaiser nahm die Bittschrift aus Alefs Händen; allein dieser verstand kein Französisch und konnte die Fragen Sr. Kaiserlichen Majestät nicht beantworten. Unter der kleinen Begleitung war gerade niemand, der Deutsch verstand; da hatte die erhabene Kaiserin die Huld, die seltene, rührende, höchst liebens- und ehrwürdige Herablassung, Dollmetscherin zu seyn zwischen dem großen Monarchen und Seinem geringen Unterthan, dem Bauer Alef. Sr. Kaiserliche Majestät hatte nun die Gnade, die Vorstellung ganz durchzulesen, und nach einer Menge von Fragen, während einer Audienz von einer halben Stunde, den Alef zu bescheiden, daß er zwey Tage nachher, am 11ten Morgens 8 Uhr, wieder nach St. Cloud kommen sollte. Er ging in Begleitung eines zu Paris wohnenden Deutschen aus hiesiger Gegend, Nahmens Rensmann, am 11ten dahin. Aber der Hof hatte St. Cloud verlassen, und befand sich auf dem Schlosse zu Trimon, zwey und eine halbe Stunde von St. Cloud. Alef eilte mit seinem Begleiter dahin, und ließ sich durch den Großmarschall des Pallastes melden. Der Kaiser, der sich seiner sofort erinnerte, ließ ihm durch den Großmarschall zurücksagen: er solle sich beruhigen. Sr. Kaiserliche Majestät habe noch nicht Zeit gehabt, den Gegenstand seiner Bittschrift genau zu prüfen, es solle aber den Bauern Gerechtigkeit wiederfahren, wenn die Sache gegründet befunden würde. Am nähmlichen Abend schon wurde Alef aufgefordert, bey dem Herrn Staatsrath Grafen Merlin, General-Procureur bey dem Cassationshofe, und nachher bey dem General-Advocaten am Cassationshofe, Herrn Daniels, dem berühmten Uebersetzer des Code Napoléon, zu erscheinen, um nähere Auskunft zu geben. Viele Fragen wurden ihm hier vorgelegt, die er nach seiner Wissenschaft beantwortete.
Der, von diesen beyden wichtigen Staatsbeamten erstattete Rapport (Bericht) an Sr. Kaiserliche Majestät wurde demnächst an Sr. Excellenz, den Kaiserlichen Herrn Commissair, Grafen Beugnot, gesandt, um solche dem Staatsrath des Großherzogthums zum Gutachten vorzulegen. Zum Beweise, mit welchem Eifer der große Kaiser die Gerechtigkeit auch in dem geringsten Unterthan liebt und ehrt, verdient hier bemerkt zu werden: schon am fünften Tage nachher wurde von Paris aus das Staatsraths Gutachten erinnert, mit dem Zusatze: Sr. Kaiserliche Majestät habe dem Alef Resolution versprochen.
Diese Resolution ist nunmehr in dem Kaiserlichen Decret vom 13ten Sept. im ersten Kapitel des zweyten Titels (s. Gesetz-Bulletin Nr. 15.) erfolgt. Sr. Kais. Majestät haben sich die verschiedenen Rapports und Gutachten Punkt für Punkt vortragen lassen, und Selbst entschieden. Ja, groß ist das Glück eines Landes, einen Monarchen zu haben, der auf eigenen Füßen steht, der Selbst sieht und Selbst handelt. In einem solchen Lande muß, ohne Rücksicht auf den gegenwärtigen Fall, jeder sich scheuen, öffentliche Ungerechtigkeiten zu begehen; sie können, der Fall ist nie unmöglich! zur Wissenschaft des großen selbstständigen Monarchen gebracht werden, und wehe dann dem, der eine Ungerechtigkeit beging! Beyspiele strenger Ahndung solcher Fälle sind genug bekannt geworden.

Die Sr. Kaiserlichen Majestät überreichte Bittschrift wird, da sie für Viele Interesse haben wird, hier im deutschen Entwurfe mitgetheilt:

Sr. Kaiserlich-Königlichen Majestät Napoleon dem Großen, Kaiser der Franzosen, König von Italien, Beschützer des Rheinbundes ec.

Sire!
"Ew. Kaiserliche Majestät haben durch die wohlthätige Verordnung vom 12ten Dec. 1808, durch die Abschaffung der Leibeigenschaft und der aus derselben herrührenden Ueberbleibsel, laut erklärt, daß Sie des Bauernstandes Vater und Schützer sind. Seitdem nennen wir Ew. Majestät unsern Wohlthäter, und wenn uns Unrecht geschieht, vertrauen wir auf unsern großen Kaiser, der uns gegen Unrecht schützen wird.
"Die erwähnte Verordnung vom 12ten Dec. 1808 spricht nicht bloß von den gegenwärtig noch Leibeigenen, sondern auch ganz deutlich von allen denen Colonen, welche ehemahls leibeigen gewesen sind, und jetzt noch das Drückende der ehemahligen Leibeigenschaft tragen, ob sie gleich keine Leibeigene mehr genannt werden. klar sagen dieses die Art. 1, 19, 20 und 21.
[...]
"Nun gibt es in dem Großherzogthum viele tausend Colonate, die sogenannten Leib- und Zeit-Gewinngüter, eine Art Erbpachtgüter, welche ehemahls leibeigene Colonate waren, deren Besitzer aber in neueren Zeiten aufgehört haben, persönlich Leibeigene zu seyn, obgleich ihre Verpflichtungen größtentheils die nähmlichen geblieben sind. Diese Colonten sind seit Jahrhunderten von den Eltern auf die Kinder, und zwar auf die Söhne, wenn welche vorhanden waren, übergegangen; heyrathete in Ermangelung von Söhnen ein Fremder eine Tochter des Hofes, so erhielt er den Nahmen der Colonie; sie ahmen ganz den Lehnen nach; die Besitzer haben die freye Benutzung des Guts, nur müssen sie jährlich die hergebrachten Naturalabgaben an Korn und andern Producten den Hofesherren entrichten; sie bezahlen alle ordentliche und außerordentliche Steuern, leisten Krieges- und andere öffentliche Dienste und Lasten in eigenem Nahmen; ihnen gehören die Gebäude, um deren Erbauung und Reparaturen sich die Hofesherren nie bekümmerten; wenn ein neuer Colon den Hof antritt, muß er dem Hofesherrn den Gewinn entrichten; sie müssen dem Hofesherrn Hand- und Spanndienste leisten; kurz, alle ihre Verhältnisse in Beziehung auf ihre Colonate sind die nähmlichen, wie die der noch jetzt wirklich Leibeigenen, nur die Ausflüsse der persönlichen Leibeigenschaft haben aufgehört, obgleich auch davon bey vielen Höfen sich mehr oder minder Spuren erhalten haben.
"Daher ist auch in zwey Verordnungen, welche der Großherzog von Hessen für das Herzogthum Westfalen und die Fürstin von Lippe nach dem hohen Muster Ihrer Kaiserlichen Majestät wegen Abschaffung der Leibeigenschaft erlassen haben, ausdrücklich benannt, daß sie auf die sogenannten Leib- und Zeitgewinngüter gleiche Anwendung, wie auf die wirklich Leibeigenen, finde.
"Nur in dem Großherzogthum Berg bieten die Hofesherren alles auf, daß die wohlthätige Verordnung Ew. Kaiserl. Majestät nicht auf jene Güter angewandt werde, ungeachtet dieselbe zugleich gegen die Hofesherren gerecht ist, welche nach derselben an ihren Nutzungen nicht nur nichts verlieren, sondern vielmehr durch die bestimmte Pachterhöhung und die ihnen zuerkannten Gehölzantheile gewinnen. Ihre Absicht geht insbesondere dahin, diese Colonen, wozu auch wir gehören, als gemeine Zeitpächter zu betrachten, uns als solchen willkührlich das Gewinn und die Pächte zu erhöhen, und uns, wenn wir uns nicht fügen wollen, der Colonien zu entsetzen, die von unseren Vorfahren seit Jahrhunderten auf uns übergegangen sind; ein Unrecht, das seit 40 bis 50 Jahren einige Hofesherren schon gegen uns anzuwenden versucht haben.
[...]
"Alles das ist wahrlich nicht in dem Geiste unseres großen gerechten Kaisers. Freyes Eigenthum, Bestimmtheit der Rechte des Einzelnen und Einfachheit der Formen sind die mächtigsten Beförderungsmittel der Industrie, des Wohlstandes und der Cultur in einem Staate. Auf diesem ächt staatswirthschaftlichen Grundsatze beruhet die Aufhebung der Lehne, der Leibeigenschaft mit den aus ihr entsprungenen Beschränkungen und manches Andere, was die tiefe Weisheit Ew. Majestät abzuändern für gut gefunden hat; der nähmliche Grundsatz paßt auf uns und unsere Colonate.
"Sollte indeß Ew. Kaiserlichen Majestät höchste Absicht bey Erlassung jener wohlthätigen Verordnung diese Art Colonate nicht ausdrücklich mitbegriffen haben, weil Ihnen solche nicht zur Kenntniß gebracht worden sind: so erheischte das Wohl vieler tausend Familien des Großherzogthums, vornehmlich im Ruhrdepartement, daß durch eine besondere Verordnung Ew. Kaiserlichen Majestät die Verhältnisse zwischen den Hofesherren und den Colonen von den Leib- und Zeitgewinngütern, welche bisher auf dem Herkommen beruhten, dem Herkommen, der Billigkeit und dem Staatswohl gemäß bestimmt, und dadurch der Willkühr der Hofesherren gesteuert würde, welche uns gegen den undenklichen, in das graue Alterthum sich verlierenden Besitzstand als gemeine Zeitpächter behandeln, willkührlich Gewinn und Pächte erhöhen, und uns, wenn wir uns nicht alles gefallen lassen, unserer Colonate entsetzen wollen. Auf dem Bauernstande beruhet vornehmlich die erste Kraft eines Staats und die Sicherheit der Erhebung der Grundsteuer; und unser großer Kaiser wird uns schützen!

Ew. Kaiserl. Majestät
Arrondissement Dortmund
den 30sten Dec. 1810

getreue Unterthanen
die unterschriebenen Colonen im Ruhrdepartement, Arrondissements Dortmund."

[...]

Bemerkungen in Beziehung auf das zu erwartende Benehmen des Bauernstandes.

Groß ist die Wohlthat, welche Sr. Kaiserliche Majestät dem Bauernstande durch die Verordnungen vom 12ten Dec. 1808 und vom 13ten Sept. l.J. erwiesen hat. Dankbarkeit ist die erste Pflicht jedes guten Menschen. Die beste Art des Dankes, würdig dem hohen Geiste des Wohlthäters, ist diese, daß alle Bauern von jetzt an sich doppelt bemühen, ihren Stand zu veredeln, immer bessere, redlichere und verständigere Menschen, immer bessere und würdigere Staatsbürger zu werden. Hat doch der große Kaiser ihnen nun gleiche bürgerliche Rechte mit allen übrigen Staatsbürgern verliehen, und sie von so manchem Druck älterer Zeiten, welcher auf diesem Stande lastete, durch mehrere neuere Verordnungen befreyet. Auch liegt für alle Bauern in dieser Wohlthat, wodurch sie freye, selbstständige Menschen geworden sind, die nun auch wissen, wofür sie arbeiten, ein mächtiger Sporn, immer bessere, verständigere Landwirthe zu werden, nicht bloß an dem alten Schlendrian zu kleben, sondern ihren Ackerbau immer verständiger und besser einzurichten; eben so haben sie nun doppelten Antrieb zu anständiger Sparsamkeit, zu Vermeidung alles überflüssigen Aufwandes in Kleidung und den übrigen Lebensbedürfnissen, wodurch sie sich in den Stand setzen werden, ihre Pachtgefälle mit der Zeit ablösen zu können, und so ihr Erbe ganz frey zu machen; auch werden sie jetzt mehr als je darauf denken, ihre Kinder recht viel, in so weit es ihrem Stande und der menschlichen Ausbildung angemessen ist, lernen zu lassen, und sich bemühen, durch gute, aber einfache Sitten, durch Beybehaltung alter Sittenreinheit, und durch ein höfliches, bescheidenes, gefälliges Betragen sich auszuzeichnen. Auf diese Weise wird der Bauernstand, den die schöne Vorzeit als den vorzüglichsten liebte, aus welchem einst unter den Römern, wenn der Staat in Gefahr war, die größten Feldherrn, ein Quinctius und Curius hinter dem Pfluge weggehohlt, und ihnen der Commandostab überreicht wurde, den sie aber nach geendigter Staatsgefahr aus Anhänglichkeit an die Landwirthschaft wieder mit dem Pfluge vertauschten, auf diese Weise, sage ich, wird der Bauernstand sich immer achtungswerther machen, ja er wird nur so lange achtungswerth bleiben, als er jenen Ansprüchen der Religion und der Tugend an sie nachkommt. So möge er dann immer mehr blühen, und die spätesten Nachkommen werden noch die Wohlthat segnen, welche ihrem Stande von dem großen Kaiser erwiesen ist.
Eine zweyte Hauptpflicht der Bauern ist Bescheidenheit, Redlichkeit und Bravheit gegen ihre bisherigen Hofesherren, Eben so wenig, als die Hofesherren den Bauern verdenken konnten, daß sie das Recht, welches sie zu haben glaubten, zu verfolgen suchten, eben so wenig dürfen die Bauern es ihren Hofsherren verdenken, daß sie ihren bisherigen Besitz zu vertheidigen und alles Mögliche aufzubieten suchten. (Die dieses mit Bitterkeit und Härte thaten, deren waren doch wohl nur wenige, und hier heißt es: vergeltet nicht Böses mit Bösem!) Manche Bauern suchten sonst häufig ihre Hofesherren zu vervortheilen, brachten ihnen schlechtes Pachtkorn und erfüllten ihre übrigen Obliegenheiten gegen sie schlecht; das klebte ihnen aus der Leibeigenschaft an und gehörte zu dem niedern Sclavensinne. Aber jetzt sind die Bauern freye Menschen; ein edlerer Sinn muß nun sie beleben, Gerechtigkeit muß für sie ein Ehrenwort seyn, und Verachtung dem, der ferner ein Gauner seyn möchte. Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, dem Hofesherrn, was des Hofesherrn, so wie Gott, was Gottes ist! Eben so erweise ihnen jeder gern Gefälligkeiten in Beyhülfe zur Zeit der Ernte und sonst, wenn dieses ohne eigenen Schaden geschehen kann. So wird der Bauernstand der Kaiserlichen Wohlthat würdig handeln, und sich der Achtung und Liebe guter Menschen werth machen. Aber unanständiges, rachsüchtiges Frohlocken, rohes Betragen und ungeschliffene Ungefälligkeit würde jeden schänden, der sich dessen zu Schulden kommen ließe.
[...]“
 
Quelle: Belehrung des Bauern-Standes über die demselben von Sr. Kaiserl. Majestät durch
die beyden Verordnungen vom 12ten Dec. 1808 und vom 13ten Sept. 1811 verliehenen Rechte,
und über dessen Pflichten gegen die bisherigen Hofesherren. Von dem Herausgeber
des allgemeinen Bauernkalenders, 2. Aufl., Dortmund (Gebrüder Mallinckrodt) 1811.



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