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Ordnung für sämtliche Städte der preußischen Monarchie mit dazugehöriger Instruktion behufs der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsmäßigen Versammlungen, Königsberg, 18. 11.1808:


„Wir Friedrich Wilhelm, von Gotte Gnaden, König von Preußen etc. etc. tun kund und fügen hiemit zu wissen:

Der besonders in neuern Zeiten sichtbar gewordene Mangel an angemessenen Bestimmungen in Absicht des städtischen Gemeinwesens und der Vertretung der Stadtgemeine, das jetzt nach Klassen und Zünften sich teilende Interesse der Bürger und das dringend sich äußernde Bedürfnis einer wirksameren Teilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung des Gemeinwesens, überzeugen Uns von der Notwendigkeit, den Städten eine selbständigere und bessere Verfassung zu geben, in der Bürgergemeine einen festen Vereinigungspunkt gesetzlich zu bilden, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten.

Zur Erreichung dieser landesväterlichen Absicht verleihen Wir kraft dieses aus Königlicher Macht und Vollkommenheit sämtlichen Städten unserer Monarchie nachstehende Ordnung, indem Wir mit Aufhebung der derselben zuwiderlaufenden, jetzt über die Gegenstände ihres Inhalts bestehenden Gesetze und Vorschriften, namentlich der auf solche Bezug habenden Stellen des Allgemeinen Landrechts, Folgendes verordnen:

§ 16. In jeder Stadt gibt es künftig nur ein Bürgerrecht. Der Unterschied zwischen Groß- und Kleinbürgern und jede ähnliche Abteilung der Bürger in mehrere Ordnungen wird daher hierdurch völlig aufgehoben.

§ 17. Das Bürgerrecht darf niemandem versagt werden, welcher in der Stadt, worin er solches zu erlangen wünscht, sich häuslich niedergelassen hat und von unbescholtenem Wandel ist. Wenn er bisher an einem andern Orte gewohnt hat, muß er seine Aufführung, und wie er sich bis dahin ehrlich genährt hat, durch Zeugnisse der dasigen Ortsbehörde nachweisen.

§ 18. Auch unverheiratete Personen weiblichen Geschlechts können, wenn sie diese Eigenschaften besitzen, zum Bürgerrechte gelangen.

§ 19. Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse machen bei Gewinnung des Bürgerrechts keinen Unterschied. Auch hergebrachte Vorzüge der Bürgerkinder und besondere Arten von Verpflichtungen der Unverheirateten etc. hören völlig auf, Kantonnisten, Soldaten, Minderjährigen und Juden kann das Bürgerrecht aber nur unter den vorschriftmäßigen Bedingungen zugestanden werden. Dieselben, imgleichen die Menonisten, sind auch nach Erlangung desselben in Absicht des Erwerbes von Grundstücken und des Betriebes von Gewerben den Einschränkungen noch unterworfen, welche durch Landesgesetze und Ortsverfassungen bestimmt sind.

§ 73. Die Wahl der Stadtverordneten nach Ordnungen, Zünften und Korporationen in den Bürgerschaften wird dagegen hierdurch völlig aufgehoben. Es nehmen an den Wahlen alle stimmfähigen Bürger Anteil, und es wirkt jeder lediglich als Mitglied der Stadtgemeine ohne alle Beziehung auf Zünfte, Stand, Korporation und Sekte.

§ 74. Das Stimmrecht zur Wahl der Stadtverordneten und Stellvertreter steht zwar in der Regel jedem Bürger zu; jedoch sind als Ausnahmen folgende davon ausgeschlossen:
a) Diejenigen, welche nach den §§ 20 und 22 im III. Titel unfähig sein würden, das Bürgerrecht zu erlangen, wenn sie solches nicht schon besäßen,
b) Magistratsmitglieder, während der Dauer ihres Amts,
c) Bürger weiblichen Geschlechts,
d) Unangesessene Bürger – in großen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 200 Rtlr. – und in mittleren und kleinen Städten, deren reines Einkommen noch nicht 150 Rtlr. jährlich beträgt, und
e) Personen, welchen als Strafe das Stimmrecht entzogen ist.

§ 108. Die Stadtverordneten erhalten durch ihre Wahl die unbeschränkte Vollmacht, in allen Angelegenheiten des Gemeinwesens der Stadt die Bürgergemeine zu vertreten, sämtliche Gemeine-Angelegenheiten für sie zu besorgen und in Betreff des gemeinschaftlichen Vermögens, der Rechte und der Verbindlichkeiten der Stadt und der Bürgerschaft, namens derselben, verbindende Erklärungen abzugeben.

§ 109. Besonders sind sie befugt und verpflichtet, die zu den öffentlichen Bedürfnissen der Stadt nötigen Geldzuschüsse, Leistungen und Lasten auf die Bürgerschaft zu verteilen und zu deren Aufbringung ihre Einwilligung zu geben; auch überhaupt die gemeinen Lasten und Leistungen zu regulieren.

§ 110. Die Stadtverordneten sind berechtigt, alle diese Angelegenheiten, ohne Rücksprache mit der Gemeine abzumachen, es mögen solche nach den bestehenden Gesetzen bei den Korporationen von der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder oder jedes einzelnen Mitglieds abhangen. Sie bedürfen dazu weder einer besonderen Instruktion oder Vollmacht der Bürgerschaft, noch sind sie verpflichtet, derselben über ihre Beschlüsse Rechenschaft zu geben.
Das Gesetz und ihre Wahl sind ihre Vollmacht, ihre Überzeugung und ihre Ansicht vom gemeinen Besten der Stadt ihre Instruktion, ihr Gewissen über die Behörde, der sich deshalb Rechenschaft zu geben haben. Sie sind im vollsten Sinne Vertreter der ganzen Bürgerschaft, mithin wenig Vertreter des einzelnen Bezirks, der sie gewählt hat, noch einer Korporation, Zunft etc., zu der sie zufällig gehören.“

 
Zitiert nach: Wirkungen und Folgen der Französischen Revolution – Die Epoche der Revolution, der Reformen
und der Restauration, in: Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 2, 2. Teil, S. 947-979.

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