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Aus: Armin Owzar, Wider den „patriachalischen Schlendrian“ – Napoleonische Verfassungspolitik in Westfalen, in: ..., S. 307f.:


„Besonderes Gewicht wurde der symbolgeladenen Darstellung der westphälischen Konstitutionsakte beigemessen. Das begann bereits ein halbes Jahr vor deren Veröffentlichung, in Form eines verfassunggebenden Aktes. So hatte der Kaiser eine mehrköpfige Kommission beauftragt, einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, den er im August 1807 einer westphälischen Delegation zur Beratung vorlegte. Daß es sich dabei um eine Farce handelte – über die kritischen Anmerkungen setzte der Kaiser sich ausnahmslos hinweg –, kam manchen Deputierten nicht einmal ungelegen. So unterentwickelt war das Selbstbewußtsein zahlreicher, auch reformorientierter Funktionseliten, daß sie sich vor ihrer eigenen Meinung fürchteten. Der für Braunschweig entsandte Abt Henke sehnte eine autoritäre Antwort Napoleons geradezu herbei: ‚Durch die freimütige Eröffnung unserer Gedanken würden wir dem Vaterlande nicht helfen und uns selbst unglücklich machen; durch Weigerung aller Antwort auf des Kaisers Anfrage würden wir ihn beleidigen und erzürnen, und durch Gutheißung des Entwurfs würden wir verräterisch und niederträchtig handeln. Ich hoffe, der Kaiser soll uns noch allen diesen Verlegenheiten entreißen und die Konstitution promulgieren [veröffentlichen], ehe wir uns darüber haben vernehmen lassen‘.

Ähnlich verzagt reagierten die Abgeordneten der Reichsstände ein Jahr später, am 7. August 1808, als sie zum ersten Mal ein Gesetz ablehnten. Offensichtlich mußten die Parlamentarier sich erst an ihre Rolle und an das Ausmaß der neu gewonnenen Kompetenzen gewöhnen. Symbolischen Handlungen halfen ihnen dabei. Mit dem Eid auf die Verfassung schwuren die Abgeordnete auf kein beliebiges Blatt Papier, sondern garantierten unveräußerliche Rechte. Durch ihre (indirekt erfolgte) Wahl mußten sie sich ihrer Qualifikation bewußt werden, die sie vor anderen auszeichnete. Durch das auf der zweiten Ständeversammlung allen Nichtgeistlichen verordnete prächtige Kostüm lernten die Vornehmeren auch den einfachsten Abgeordneten als gleichberechtigten Redner zu akzeptieren.

Eine besondere Wirkung auf das Selbstbewußtsein der Abgeordneten muß von der Gestaltung des Tagungsortes ausgegangen sein. War das westphälische Parlament im Jahre 1808 in einem Seitenflügel der Kassler Orangerie untergebracht worden, so fand die zweite Versammlung in dem aufwendig umgestalteten und zentral gelegenen Pallast der Stände statt. Der äußeren Gestaltung entsprach eine Innenarchitektur, die die repräsentative Funktion der Abgeordneten heraushob. Hier erlebten die Parlamentarier die Wirkung des gesprochenen Wortes: auf den König, die Minister und Staatsräte, auf die übrigen Repräsentanten, ja sogar auf das gemeine Volk, das auf vierhundert Sitzen der Tribüne Platz nehmen konnte. Eine gewaltige Kuppel verband die im Halbrund sitzenden Zuhörer – vom König bis zum niedrigsten Untertanen – und signalisierte ihnen allen, Teil einer Nation zu sein.“

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