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Aus: Armin Owzar, Wider den „patriarchalischen Schlendrian“ – Napoleonische Verfassungspolitik in Westfalen, in: „Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians“ ..., S. 301:

„Grundsätzlich verfügen Verfassungen über zwei Funktionen: eine konstituierende und eine konservierende Funktion. Zur konstituierenden Funktion zählen all diejenigen Bestimmungen, die sich auf die institutionelle und gesellschaftliche Ordnung eines Staatswesens beziehen. Bei Verfassungen handelt es sich mithin um universale Ordnungsentwürfe. Da sie die Institutionen, die politischen Organe und Verfahrensweisen, definieren und deren gegenseitiges Verhalten (zum Beispiel durch den Grundsatz der Gewaltenteilung) regeln, bestimmen sie den Aufbau der Regierung. Doch können Verfassungen mit dem Gewähren essentieller Grundrechte auch die Sozialordnung prägen: sie legen das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern fest und regeln die Beziehung der Bürger untereinander (etwa zwischen Juden und Christen).

Verfassungen sind ordnungs- und herrschaftsbegründend; ihnen eignen aber auch herrschaftsbegrenzende und -sichernde Funktionen. Diese tragen dazu bei, die in der Verfassung bestimmte Ordnung zu konservieren. Ob die verankerten Sicherungen funktionieren, erweist sich erst in der Verfassungswirklichkeit, zumal es den Staat nicht nur vor Herrschaftsträgern oder Verfassungsfeinden zu schützen gilt. Auch ein gewisser Selbstschutz ist vonnöten: zum einen lebt die pluralistische Gesellschaft von der Dialogfähigkeit. Öffentlich geführte Kontroversen über alle, das Gemeinwesen betreffende Angelegenheiten tragen dazu bei, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Andererseits droht jedes Streitgespräch die konkrete Ebene zu verlassen und ins Grundsätzliche abzuschweifen, wenn nicht einige Regeln als umfassend und universal anerkannt werden. Im politischen Alltagsgeschehen gilt es, einen Minimalkonsens zu respektieren, wie über die Geltung des Mehrheitsprinzips und der Menschenrechte. Nur so lassen sich Dauerkontroversen verhindern, in deren Verlauf die in der Verfassung fixierten Regeln leichtfertig aufgegeben werden.

Will man die Verfassung schützen, so reichen defensiv ausgerichtete Vorkehrungen indes nicht aus. Ohne ein weit verbreitetes und tief verwurzeltes Verfassungsbewußtsein fehlt der konstituierten Ordnung die Stabilität, derer es gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten bedarf. Partizipationsverfahren, wie Wahlen oder Volksentscheide, können dazu beitragen, politische Entscheidungen zu legitimieren. Öffentliche, im Parlament und in den Medien geführte Debatten lassen den einzelnen Bürger am Meinungsbildungsprozeß aktiv oder passiv teilhaben. Doch Identifikation des Einzelnen mit der Verfassung wird vor allem über identitätsstiftende Kommunikation hergestellt. Symbolische Handlungen und Gründungsmythen, Verfassungsfeiern und Initiationsriten, wie der Eid auf die Verfassung, können dazu beitragen, den Glauben an die Legitimität zu befördern.“
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