Flügelretabel in der St. Viktor-Kirche in Schwerte, Detail

Flügelretabel aus Antwerpen

Die Festtagsseite des Retabels in Schwerte eröffnet mit geschnitzten und vergoldeten Figuren die ganze Pracht des Kunsthandwerks. Dargestellt sind Szenen aus dem Leben Christi wie zum Beispiel die Anbetung der Könige.

© Foto Dietrich Hackenberg

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Die ''Goldenen Wunder'' aus Antwerpen

Im 16. Jahrhundert waren die Schnitzretabel aus Antwerpen beliebte Kunstobjekte und die niederländischen Künstler genossen höchstes Ansehen, nicht nur in ihrer Heimat, sondern aus im Ausland. Die in Antwerpen ansässigen Handwerker wussten die Infrastruktur und die Handelsbeziehungen der damals größten Hafenstadt Europas an der Schelde zu nutzen und exportierten ihre Flügelretabel bis zum Baltikum. Die deutsche Hanse, bedeutende Bankiers aus Italien oder auch Kaufleute aus Süddeutschland hatten ihre Handelsstandorte im Laufe des 15. Jahrhunderts nach Antwerpen verlagert. Aber nicht nur der Export erlebte ein Blütezeit, sondern durch den Import von kostbaren Materialien, wie Gold und Azurit, oder durch die Einfuhr von Eichenholz aus dem Baltikum wurde die Produktion der Künstler in Antwerpen gefördert.

Die Antwerpener St. Lukasgilde der Maler, Bildschnitzer und weiterer Spezialhandwerker, z. B. Maßwerkschnitzer, Blattgoldmacher oder Fassmaler, hatte 1470 eine Beschaupflicht eingeführt. Die Kunstwerke, Schreinkästen, Tafelbilder oder geschnitzten Figuren wurden unbemalt begutachtet und bekamen daraufhin ein Qualitätssiegel: die Marke der offenen Hand. In einem zweiten Schritt wurden die Kunstwerke nach der Bemalung noch einmal begutachtet und bekamen ein weiteren Siegel: eine durch Türme symbolisierte Burg. Ein mit diesen zwei Siegeln versehenes Werk hatte allen Kriterien genügt und wurde dafür ausgezeichnet.

Einige der größten und komplexesten dieser spätgotischen Altarretabel aus Antwerpen befinden sich in Westfalen, zwei davon im heutigen Ruhrgebiet, nämlich in der St. Petri-Kirche in Dortmund und in der St. Viktor-Kirche in Schwerte. Sowohl auf dem Retabel in Dortmund, als auch auf dem in Schwerte finden sich die Siegel mit Hand und Burg und lassen keinerlei Zweifel über die Herkunft und die Qualität der Werke zu.

Eine der wichtigsten Exportregionen für die Retabeln war Nordswestdeutschland. So finden sich Altarretabel nicht nur in Dortmund und Schwerte, sondern auch in Haltern, Hamm-Rhynern und Xanten. Die Transporte konnten über Land abgewickelt werden, wobei die Altartafeln so konzipiert waren, dass sie in fuhrwerksgerechte Einheiten zerlegt werden konnten. Sie wurden dann am jeweiligen Bestimmungsort wieder montiert und durch Keilverschlüsse zusammengehalten.
Das sogenannte „Goldenen Wunder“ aus Dortmund gilt als das größte seiner Art, während das Retabel aus Schwerte zwar kleiner, in seiner narrativen Gestaltung aber noch komplexer ist. Der erhaltenen Vertrag für das Dortmunder Retabel wurde geschlossen zwischen dem Dortmunder Franziskanerkloster, für das das Altarretabel ursprünglich bestimmt war, und dem Bildschnitzer Jan Gillisz. Wrage. Durch stilkritische Untersuchungen hat sich aber gezeigt, dass für die Flügelgemälde wohl die Werkstatt des Adriaens van Overbeck zuständig war, und dass sich auch an den übrigen Partien des Retabels verschiedenen Hände beteiligten. Das Retabel der St. Petri-Kirche in Dortmund besitzt zwei Flügelpaare, die insgesamt drei Wandlungszustände zeigen: Die erste Möglichkeit zur Betrachtung bieten die vollständig geschlossenen Tafeln mit 18 Gemälden. Die zweite Möglichkeit offenbart sich, wenn man die inneren Flügel weiterhin geschlossen hält, die beiden äußeren aber öffnet. Zu sehen sind dann 36 Tafeln, die Szenen aus der Legende der Heiligen Anna, des Marienlebens und der Kindheit Jesu zeigen. Öffnet man beide Flügelpaare, was nur an hohen Festtagen passiert, erblickt man die künstlerisch aufwendigste Gestaltung. 27 geschnitzte figurenreiche Reliefszenen zeigen im Zentrum des Retabels die Kreuzigung Christi.
Auch das Retabel aus der St. Viktor-Kirche in Schwerte kann als ein solches „Goldenes Wunder“ bezeichnet werden, denn es gehört mit zu den prächtigsten Antwerpener Importen mit einer gewaltigen Bilderfülle, die wiederum in drei Wandlungszuständen zu bewundern ist. Auf den Außenseiten der äußeren Altarflügel befinden sich gemalte Darstellungen von 18 Heiligen. Der erste Öffnungszustand zeigt im Zentrum Szenen, die sich auf das Messopfer beziehen; rechts davon ist das Leben Johannes’ des Täufers dargestellt, links das Leben des Heiligen Viktor. Erst die Festtagsseite eröffnet mit geschnitzten und vergoldeten Figuren, ähnlich wie beim Dortmunder Retabel, die ganze Pracht des Kunsthandwerks. Dargestellt ist die Passion Christi mit der Kreuzigung im Zentrum.

Die aus der Ferne kommenden flämischen Meister wurden aber nicht nur als Bereicherung für die regionale Kunst angesehen, sondern auch als Konkurrenz für die einheimischen Künstler. Ein Beispiel hierfür mag die Ausstattung der Stiftskirche in Xanten sein. Hier gibt es neben einem Antwerpener Retabel sieben Weitere von lokalen Künstlern vom Niederrhein und aus Köln. Das Antwerpener Kunstwerk schmückt den sogenannten Märtyreraltar und zeigt in geschlossenem Zustand die Gregorsmesse zwischen Darstellungen der Begegnung Abrahams mit dem Priesterkönig Melchisedek und der Mannalese. In geöffnetem Zustand sind zum einen Szenen der Passion Christi und seiner Auferstehung zu sehen, und zum anderen die Wurzel Jesse, die von Kindheitsszenen aus dem Leben Jesu flankiert werden. Ein Pluspunkt für die einheimischen Künstler, der in der St. Viktor-Kirche in Xanten deutlich wird, ist, dass diese, vielleicht im Gegensatz zu den Antwerpener Handwerkern, in absehbarer Zeit und zum vereinbarten Termin liefern konnten.

Doch trotz der Konkurrenz, die durch die flämischen Schnitzer und Maler gegeben war, wurde deren Kunstfertigkeit auch von den westfälischen und rheinischen Berufsgenossen anerkannt und in einigen Fällen sogar kopiert. Das Retabel in Lünern sei hier genannt, das die Auftraggeber, offensichtlich beeindruckt durch das Werk im nahegelegenen Rhynern, bestellten. Sie beauftragten aber keinen Antwerpener Künstler, sondern wandten sich an eine niedersächsische Werkstatt. Diese jedoch wurde so streng verpflichtet, die Gestaltung des Retabels in Rhynern zu übernehmen, dass der ausführende Künstler gezwungen war, zumindest von den drei Hauptszenen der Passion zeichnerische Skizzen aufzunehmen. Haltung und Position der Figuren ähneln sich, nicht aber ihre gestalterischen Merkmale. Aufteilung und Dekoration des Retabels wurden übernommen, die teils einfachen Kompositionen, etwa der Kindheitsszenen, aber abgeändert.

Die künstlerisch einzigartigen Impulse für die Schnitz- und Malkunst aus Antwerpen kamen also nicht nur in die Region des heutigen Ruhrgebiets, um hier die Kirchenräume zu schmücken. Gleichsam bildeten sie für die einheimischen Künstler auch einen Anreiz, neue Gestaltungsmöglichkeiten zu übernehmen sowie sich mit der Kunst zu messen. Der neue Impuls aus Antwerpen blieb also kein Fremdkörper im lokalen Kunsthandwerk, sondern wurde schon bald als Anregung und Möglichkeit der Weiterentwicklung angesehen. 
 

Denkmale zum Impuls

Schwerte - Flügelretabel in der ev. Pfarrkirche St. Viktor

Die südniederländische Kunst genoss um 1500 höchstes Ansehen, und Schnitzretabel ... weiter

 

Dortmund - Flügelretabel in der ev. Pfarrkirche St. Petri

Das Antwerpener Retabel in der Dortmunder Petrikirche gilt als das größte seiner Art. ... weiter

 

Xanten - Flügelretabel im kath. St.-Viktor-Dom

Der mächtige Bau der Pfarrkirche St. Viktor in Xanten mit seinem romanischen Türmepaar ... weiter

 


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