Die Schau zeigt das große Potential des vierstöckigen Baus für Ausstellungen, Veranstaltungen und den künstlerischen Umgang mit Stoff und Faden. "Unsere Vision für die Zukunft des ‚Jubilars’ wäre es, hier am authentischen Ort die Produktion wieder aufzunehmen, diesmal die kulturelle Produktion. In Bocholt könnte das etwas andere Textilmuseum entstehen, das nicht nur Industriegeschichte Westfalens und ihre globalen Zusammenhänge aufzeigt, sondern auch Forum für Industrie und Kultur sein wird - eine Textil-Kultur-Fabrik“, erläuterte Dirk Zache, Direktor des LWL-Industriemuseums, in Bocholt. Das Museum solle ein Ort der Begegnung für Bocholt und die Region, aber auch international Strahlkraft entwickeln. Wichtiger Bestandteil des Museumskonzeptes ist die Schauproduktion auf historischen Maschinen. Die in den letzten 25 Jahren zusammen getragene Sammlung gilt als einzigartig auf dem europäischen Festland. „Sie ist das Gedächtnis eines ganzen Industriezweiges“, so Zache. Im Depot, das mit der museumseigenen Restaurierungswerkstatt bereits in die Spinnerei umgezogen ist, befinden sich allein 300 Großmaschinen aus allen Bereichen der Textilherstellung. Museumsleiter Dr. Hermann-Josef Stenkamp: „Ob es sich um einfaches Baumwollgarn oder kostbares Damastgewebe, Möbelplüsch, T-Shirts oder Reißverschlüsse, Borten oder Etiketten handelt, vieles könnte in Bocholt wieder im Schaubetrieb produziert in den historischen Qualitäten verkauft werden.“ Einen Vorgechmack geben sechs Maschinen, die während der Ausstellungszeit regelmäßig in Betrieb sind, darunter ein Drahtwebstuhl, zwei Stickautomaten und – frisch restauriert – eine Punchmaschine, mit der Lochkarten für Stichmaschinen gestanzt wurden. In Betrieb zu sehen ist außerdem eine historische Ringspinnmaschine wie sie auch bei Herding lief. Zur Blütezeit des Betriebs drehten sich in mehreren Schichten 23.000 Spindeln mit Baumwollgarn.
Auf dem Weg durch die Ausstellung lernen Besucher die Geschichte der Weberei und Spinnerei Herding kennen, die mit 500 Beschäftigten zur Zeit des Wirtschaftswunders zu den größten Betrieben Bocholts gehörte. Auf großen, von der Decke herabhängenden Fahnen und mit historischen Fotos stellt das Museum die verschiedenen Bereiche des Betriebs und damit den aufwändigen Werdegang von der Rohbaumwolle zum fertigen Faden vor. Spannend sind auch Blicke in die ehemaligen Sozialräume der Arbeiter wie den Waschtrakt, den Toilettenturm und die betriebseigene Gesundheitsstation. Eine 60 Jahre alte Röntgenliege wirft ein Schlaglicht auf die damaligen Arbeitsbedingungen. Dr. Arnold Lassotta vom LWL-Industriemuseum: „Angesichts der starken Staubentwicklung im Betrieb waren Atemwegserkrankungen keine Seltenheit. Außerdem war die Tuberkulosegefahr sehr hoch. Deshalb wurde häufig geröngt.“
Nach der Stilllegung der Produktion vor 30 Jahren fiel das Gebäude in einen tiefen Schlaf. 2004 konnte der LWL den viergeschossigen Backsteinbau mit finanzieller Unterstützung der Sparkassenstiftung, der Stadt Bocholt und des Kreises Borken ankaufen. Damit wurde der Grundstein gelegt für das „zweite Leben“ der Spinnerei Herding. In den eindrucksvollen Produktionssälen spinnen heute sieben Textilkünstlerinnen den nach Produktionsende gerissenen Faden weiter; ihre Installationen vermitteln völlig neue Raumeindrücke.
Eröffnung: 19.8.2007, 11 Uhr
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr
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