LWL-Industriemuseum

Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur

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Dr. Erika Fuchs

  • Geburtstag: 7.12.1906
  • Alter: 112 Jahre
  • Wohnort: Schwarzenbach
  • Beruf: Übersetzerin, Kunsthistorikerin
  • Mitglied seit: 28.8.2019

Zu meiner Zeit wurden Comic-Hefte nicht nur belächelt, sie wurden als ein „Gift für die Jugend“ bezeichnet. Ich dachte zu Anfang auch so. Aber während meiner Tätigkeit als Übersetzerin stellt ich fest, wie viel „höhere Kultur“ in diese dünnen Hefte gelegt werden konnte.

Das Jahr 1913 war ein Wendepunkt in meinem Leben. In diesem Jahr kam eine richtige Oberstudienrätin an unsere höhere Mädchenschule. Bis dahin hatte ich nie wirklich aufgepasst. Doch sie schaffte es, die brennende Neugier auf Kultur und Wissen in mir zu entfachen. Dieser Wunsch brannte so stark in mir, dass ich gegen alle Widerstände mein Abitur auf dem (bis dahin) reinen Jungengymnasium ablegte. Und das musste ich, schließlich wollte ich im Anschluss ein Studium aufnehmen, um noch mehr zu lernen. Und das tat ich. 1926 begann ich mein Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und mittelalterlichen Geschichte. Das Studium führte mich an viele Orte. So lernte ich in Lausanne, in München und in London. Doch nach dem Studium – ich hatte während dessen meinen Mann kennengelernt – gründeten wir unsere Familie im beschaulichen Schwarzenbach an der Saale.

Seit meiner Zeit in London las ich viel englische Literatur. Aus Spaß begann ich in meiner Freizeit, knifflige Stellen ins Deutsche zu übersetzen. Dadurch bekam ich Übung darin. Nach dem Krieg schickte ich eine von mir übersetzte Kurzgeschichte an eine amerikanische Zeitschrift. Ich wurde vom Fleck weg angestellt. Anfang der 50er zeigte mir einer der Redakteure etwas, was ich bis dahin noch nie gesehen hatte: ein Comic-Heft. Und er bat mich, es zu übersetzen. Ich sagte ihm, dass ich nicht an eine große Zukunft für Comic-Hefte in Deutschland glaubte. Trotzdem übersetzte ich das Heft – aus der Not, weil die Auftragslage schlecht war. Und ich glaubte zu dem Zeitpunkt noch, dass es leicht zu verdienendes Geld sei. Wie viel Arbeit konnte es schon sein, diese wenigen Textschnipsel in den Sprechblasen zu übersetzen?

Nun, die Aufgabe war anspruchsvoller als ich dachte. Aber gerade harte Nüsse zu knacken, machte mir am meisten Spaß. Und offensichtlich war mein Spaß in meiner ersten Übersetzung spürbar. Denn sie gefiel den Chefs so gut, dass sie mich direkt zur Chefredakteurin des Micky Maus Magazins in Deutschland machten. Ich übersetzte Monat für Monat – und schon bald Woche für Woche – die Geschichten von Donald und Micky aus „Duckburg“. Aber bei mir hieß die Stadt „Entenhausen“ und lag gar nicht so weit von Schwarzenbach entfernt. Donald fährt mit seinen Neffen zum Beispiel an den Fichtelsee oder zum Ski fahren auf den Ochsenkopf ­– genau wie ich, wenn ich mit meinem Mann und den Kindern Ausflüge unternahm. Beide Ausflugsziele liegen mitten in Oberfranken, nicht in den USA.

Außerdem versteckte ich klassische Literatur in den Heften, auf die häufig verächtlich heruntergeblickt wurde. Ich selbst war zu Lebzeiten zwar auch nie eine glühende Verehrerin dieser Bilder-Literatur, aber trotzdem musst das eine das andere nicht ausschließen. Zum Beispiel wandelte ich einen Teil des Rütlischwurs aus Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ um zu: „Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns waschen und Gefahr!“ Aber statt der Schweizer Eidgenossen sprachen ihn Tick, Trick und Track. So fanden am Ende auch Goethe und Shakespeare in Deutschland ihren Weg in die amerikanischen Bildheftchen.

Die Figuren versuchte ich durch die passende Sprache noch lebendiger und realer werden zu lassen. Für Onkel Dagobert übernahm ich zum Beispiel den Sprachstil meines Vaters. Als ehemaliger Direktor eines Überlandwerks hatte er diese korrekte Sprache, die ich mir für Dagobert vorstellte. Um die geeigneten Worte für Tick, Trick und Track zu finden, habe ich der Jugend „auf’s Maul geschaut“, wie man so unfein sagt. Daneben fanden viele der Aussprüche, die ich den Figuren schrieb, Eingang in die deutsche Sprache. Der bekannteste ist mit Sicherheit: „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör.“ Bei aller Bescheidenheit: Der perfekte Spruch für Daniel Düsentrieb. Aber ich hatte auch das perfekte Vorbild zu Hause: Mein Mann war selbst Erfinder und Ingenieur.

Ein weiteres Vermächtnis, dass ich der deutschen Sprache gemacht habe, ist der Erikativ. Ja, er wurde mir zu Ehren so genannte. Und nein, den Erikativ gab es auch schon vorher, da nannte man ihn nur Inflektiv. Klingt unglaublich schlimm nach Deutschunterricht und Grammatik, oder? Stimmt auch, aber dahinter verbirgt nicht mehr als die Verkürzung von Verben auf ihren Stamm. Wenn Donald intensiv über ein Problem nachdenkt, dann steht über seinem Kopf nicht „grübeln“ oder „grübelt“, sondern einfach nur „grübel“. Und das funktioniert mit jedem Verb. Wie gesagt, mir gebührt der Ruhm eigentlich nicht, da es diese grammatikalische Form schon gab. Es zeigt, wie wirkmächtig ein kleines Heft mit vielen Bildern sein kann.

Gisbert hat einen Kommentar hinterlassen

Gisbert Hasenjaeger schrieb am 28.8.2019 um 14:45 Uhr:

Was Sie tun ist ja auch fast eine Verschlüsselung. Oder doch eine Entschlüsselung? Hm, doch wohl eher eine Entschlüsselung. Schließlich machen Sie Wissen zugänglich. Aber doch nur für den, der über das entsprechende Hintergrundwissen verfügt... Sie sind ein schwieriger Fall.

Karl hat einen Kommentar hinterlassen

Karl von Drais schrieb am 1.10.2019 um 13:44 Uhr:

"Dem Ingeniör ist nichts zu schwör!" Haha, köstlich, Ihre Kreation. Das hätte auch mein Motto sein können.

Johann Georg hat einen Kommentar hinterlassen

Johann Georg Krünitz schrieb am 2.10.2019 um 7:48 Uhr:

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