[ Start | Themen | Ökonomische Modernisierung | Folgen | Ökologische Folgen | ]
 
Hauptmenü
Das Projekt
Themen
Ausstellung
Film
Unterricht
Start
Impressum

Verweise
Biografien
Glossar
Zeittafel
Quellen
Literatur
Links

Funktionen
Suchen
Druck-
ansicht
Speichern

 
Inhalt  |  Hilfe  |  Kontakt  |  Suche Zurück   Weiter
  Begriff Moderne / Modernisierung
  Ökonomische Modernisierung
 
-  
 
-  
 
-  
 
-  
 
   Soziale Folgen
 
   Ökologische Folgen
 
-  
  Politische Modernisierung
  Kulturelle Modernisierung
 
Vom Solarenergiesystem
zum fossilen Energiesystem
 
Aus: Ralf Peter Sieferle, Energie, in: Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, hg. von Franz-Josef Brüggemeier und Thomas Rommelspacher, München 1987, S. 31-33, 35-37:


„Wir können beobachten, daß sich mit der Industrialisierung eine Reihe physischer Parameter grundsätzlich geändert hat. Die Zahl der Menschen hat sich etwa verzehnfacht, zugleich ist der Durchfluß von Energie und Stoffen durch die Gesellschaft (etwa bestimmbar als Prokopfverbrauch an Metallen, Wasser, Lebensmitteln usw.) enorm gestiegen. Die Industrialisierung mobilisierte gewaltige Massen an Materialien, griff auf Rohstofflager aller Art zurück, wälzte die Oberfläche der Erde um, häufte Gegenstände aller Art an, synthetisierte neuartige chemische Stoffe, veränderte (und zerstörte) zahlreiche natürliche Lebensräume, rottete eine Anzahl von Spezies aus und griff schließlich sogar in großräumige Zusammenhänge wie etwa die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, der Weltmeere oder der Erdoberfläche ein. Diese nicht nur aus geologischer, sondern sogar aus historischer Perspektive sehr raschen, ja explosiven Veränderungen innerhalb von knapp zweihundert Jahren Industrialisierung sind energetisch vollständig auf die Nutzung fossiler Energieträger zurückzuführen. Kohle und später Erdöl machten von den Restriktionen des traditionellen Solarenergiesystems unabhängig. Eine Vielzahl technischer Apparaturen konnte sich zwischen den Menschen und seine natürliche Umwelt schieben. Nicht mehr Tiere und Pflanzen wurden zu den entscheidenden Energiekonvertern, sondern Maschinen. Produktionsabläufe wie auch die Gestaltung des Alltags konnten jetzt einen ‚unorganischen‘ Charakter gewinnen. Metalle und Kunststoffe ersetzten pflanzliche Stoffe; eine mit hohem Energieaufwand betriebene Landwirtschaft ließ die Erträge so weit wachsen, daß eine Vielzahl von Menschen von der gleichen Fläche ernährt werden konnte. Die traditionellen Flächenrestriktionen entfielen: Landwirtschaft war nicht mehr ein zentraler Bestandteil des Energiesystems selbst, sondern sie wurde zu einem Industriezweig, der in Abhängigkeit von dem fossilen Energiesystem geriet.

Gerade am Beispiel der Landwirtschaft wird deutlich, was der Übergang zur fossilen Energie bedeutete. Die traditionelle Landwirtschaft auf rein solarer Basis mußte immer einen positiven energetischen Erntefaktor haben, d.h. es mußte mehr in den Pflanzen gebundene Energie gewonnen werden, als zur Bearbeitung der Felder an Energie aufgewandt wurde. Landwirtschaft war somit ein Weg, Energie zu sammeln und zu speichern. Mit der modernen mechanisierten und chemisierten Landwirtschaft kehrte sich dies um. Die Vorleistungen (Dünger, Pflanzenschutzmittel, landwirtschaftliche Maschinen, schließlich auch Lebensmittelverarbeitung und Verteilung) hatte nun einen höheren Energiegehalt als die gewonnene Nahrung. Die moderne Landwirtschaft ist ohne den Einsatz fossiler Energie nicht mehr möglich.

[...]

Als man in Mittel- und Westeuropa vom traditionellen Solarenergiesystem zum fossilen Energiesystem überging, bedeutete dies, daß man sich energetisch nicht mehr im Rahmen dessen bewegte, was dauerhaft von der Biosphäre abgeschöpft werden konnte, sondern daß man sich eines einmaligen Schatzes bemächtigte, mit dem man so verfuhr, als sei er unerschöpfbar. Das ungeheure Bevölkerungswachstum und die gewaltigen Wohlstandssteigerungen der vergangenen zweihundert Jahre beruhen energetisch darauf, daß man einen gegebenen Bestand verzehrt. Die Industriegesellschaften verhalten sich im Grunde nicht anders als eine Bakterienkultur, die sich in einer Nährflüssigkeit so lange vermehrt, bis alles aufgebraucht ist oder bis sie an ihren Stoffwechselprodukten zugrunde geht. Diese Tatsache ist heute allgemein bekannt. Weniger bekannt ist vielleicht, daß dieser Zusammenhang schon seit Beginn der Industrialisierung prinzipiell durchschaut war und daß die Dramatik der Einsicht, das Industriesystem ruhe auf einer endlichen, vorübergehenden Basis, immer wieder die Gemüter erhitzte und nach Auswegen suchen ließ.

Besonders intensiv wurde dieses Problem in England seit dem frühen 19. Jahrhundert diskutiert; man erstellte eine Reihe von Prognosen und richtete parlamentarische Kommissionen ein, die sich mit Gegenmaßnahmen beschäftigten. In Deutschland wurde das Problem nicht in solcher Dringlichkeit gesehen, weil die deutschen Lagerstätten (einschließlich Lothringen und Oberschlesien) wesentlich größer waren als die englischen. Dennoch warf die Tatsache, daß Kohle nicht für alle Zeiten verfügbar sein konnte, einen Schatten selbst auf die Industrialisierungseuphorie der Gründerjahre. Man überlegte daher bald, welche Alternativen zur Kohle denkbar waren, wobei diese Alternativen den Vorzug haben sollten, die Energieversorgung auf Dauer zu sichern. Es gab zahlreiche phantastische und unrealistische Vorschläge, doch schien sich in den 1880er Jahren eine Dauerlösung auf der Basis von Solarenergie abzuzeichnen. So experimentierte man mit direkten Sonnenkraftmaschinen, die durch einen Brennspiegel Sonnenenergie einfingen, mit deren Hilfe wiederum eine Dampfmaschine betrieben werden sollte.

In der Praxis wichtiger jedoch wurde die Nutzung der Wasserkraft mit Hilfe von Elektrogeneratoren, die einen Übergang zur Elektrizitätswirtschaft markieren. Wasserkraft war bisher nur durch Mühlwerke genutzt worden. Sie hatten jedoch den gravierenden Nachteil, daß die mit ihnen gewonnene Energie nicht transportiert werden konnte, sondern an Ort und Stelle genutzt werden mußte. Mechanischer Transport von Energie mithilfe von Transmissionssystemen war so aufwendig und mit so großen Reibungsverlusten verbunden, daß er sich nur auf kürzesten Strecken lohnte. Auch Versuche mit Druckluftleitungen stießen bald an technische und wirtschaftliche Grenzen. Elektrizität machte dagegen die Energie von Wasserläufen transportierbar. Wenn man die gewaltigen Kapazitäten des Alpenraums und der Mittelgebirge in Betracht zog, schien die Elektrizitätswirtschaft eine denkbare solarstationäre Alternative zur fossilen Energie zu bieten.

Die Elektrifizierung Deutschlands machte seit den 1880er Jahren rapide Fortschritte, doch ließ die Stromerzeugung mithilfe von Kohlekraftwerken die Vision von der solaren Dauerenergie wieder verblassen. Der Übergang zur Elektrizität gewann eine ganz andere Bedeutung. Der Elektromotor, ein umgekehrter Generator, der die Stromspannung wieder in eine mechanische Bewegung zurückführt, löste allmählich die Dampfmaschine ab. Das bedeutete nicht nur, daß in den Betrieben die Transmissionen verschwanden; vor allen Dingen erlaubte der Elektromotor den Anschluß des Klein- und Handwerksbetriebs an die Industrialisierung und Mechanisierung. Hatten viele (mit Hoffnung oder mit Schrecken) gedacht, das Zeitalter der ‚großen Industrie‘ bedeute den Untergang des Handwerks, da diesem der Anschluß an die modernen Kraftmaschinen versagt bleiben müsse, so stabilisierten und modernisierten sich Handwerk und Kleinbetrieb seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert.“
Zum Seitenanfang 
 
Zurück   Weiter
 
Der LWL -  Freiherr-vom-Stein-Platz 1 -  48133 Münster   Impressum