Hier und heute spielt es keine Rolle mehr, ob jemand „aus dem Osten” stammt, Heimatvertriebener ist oder die Familie einen Vertriebenenhintergrund hat. Die „Fremden” von vor 60 Jahren sind längst in unsere Gesellschaft integriert und ihre
Erinnerungskulturen ebenfalls: Straßenschilder und Denkmale halten die Namen von Herkunftsorten und -regionen gegenwärtig; Heimatstuben, Museen und Bibliotheken bewahren das kulturelle Erbe der Deutschen aus Mittel- und Osteuropa; Paten- und vor allem Partnerschaften knüpfen neue Fäden in die alte Heimat; zahlreiche Romane und Gedichte, Zeichnungen und Gemälde, Dokumentationen und Spielfilme dokumentieren die künstlerische Auseinandersetzung mit
Flucht und Vertreibung, Heimatverlust und Neuanfang.
Die historische Aufarbeitung von
Flucht und Vertreibung steht dagegen noch in ihren Anfängen und wird derzeit überaus kontrovers diskutiert. Das zeigen nicht zuletzt die Debatten um die großen historischen
Ausstellungen des Jahres 2005. Auch an der Frage, ob ein vom Bund der Vertriebenen angeregtes
Zentrum gegen Vertreibungen oder das als europäisches Projekt angelegte
Netzwerk Erinnerung und Solidarität der zentrale Erinnerungsort sein soll, scheiden sich hier und in den östlichen Nachbarländern die Geister. In Polen beherrschen zudem die Entschädigungsforderungen der
Preußischen Treuhand die Schlagzeilen. Weniger wahrgenommen wird dagegen, dass sich auch in
Osteuropa seit einigen Jahren eine intensive Debatte sowohl mit der Vertreibung der Deutschen als auch mit der deutschen Geschichte von Schlesien, Ostpreußen und dem Sudetenland entwickelt hat.