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Ausstellungen

Björn Zech

Bundespräsident Horst Köhler besichtigt die Ausstellung des Bonner Hauses der Geschichte. Foto: dpa picture-alliance.
„Aufbau West“ war im Jahr 2005, genau 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, die erste große überregionale Ausstellung zu den Themen Flucht und Vertreibung, Wiederaufbau und Integration. Kurz darauf folgte das Bonner Haus der Geschichte mit der Sonderausstellung „Flucht Vertreibung Integration“, die im Sommer 2006 auch in Berlin zu sehen war. Dort präsentierte beinahe zeitgleich die Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen ihr erstes Ausstellungsprojekt „Erzwungene Wege“. Die Ausstellung „Flucht Vertreibung Integration“ beschrieb das unmittelbare Geschehen von Flucht und Vertreibung, die Vorgeschichte und die Eingliederungsprozesse der Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik. „Erzwungene Wege“ zeigte neun exemplarische Erscheinungsformen von Flucht, Vertreibung und Genozid im Europa des 20. Jahrhunderts.

BdV-Präsidentin Erika Steinbach in der Ausstellung "Erzwungene Wege". Foto: dpa picture-alliance.
Insbesondere das Projekt „Erzwungene Wege“ der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen wurde bereits im Vorfeld argwöhnisch betrachtet: Die ursprünglichen Ankündigungen ließen vermuten, dass eine Dokumentation mit dem Schwerpunkt auf der Vertreibung der Deutschen angedacht war, bei der die Ursachen der Vertreibung ausgeblendet und die Deutschen vor allem als Opfer dargestellt werden sollten. Außerdem wurde eine zu starke Emotionalisierung befürchtet, die eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema behindern würde. Als Reaktion auf diese Kritik beauftragte die Stiftung das unabhängige Ausstellungsbüro KMT aus Berlin mit der Neukonzeption des Projekts. Das neue Konzept rückte die Vertreibung der Deutschen an den Rand und den europäischen Kontext in den Mittelpunkt der Schau.

Eine Besucherin in der Bonner Ausstellung. Foto: dpa picture-alliance.
Die Süddeutsche Zeitung sah in diesem neuen europäischen Ansatz nur eine geschmeidigere Strategie, aber keinen fundamentalen Sinneswandel: Die spezifisch deutsche Verantwortlichkeit für die Vertreibung der Deutschen würde noch immer ausgeblendet. 1 Der „Spiegel“ dagegen stellte nach der Eröffnung erstaunt fest, dass man die Geschichte der Deutschen fast schon suchen müsse, „als fürchteten die Aussteller, der Deutschtümelei bezichtigt zu werden.“ 2 Der Journalist Christian Semler und die Publizistin Helga Hirsch, letztere Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, entdeckten im Vergleich mit der Bonner Ausstellung unabhängig voneinander gar eine eigenartige Verkehrung von Inhalten und Intentionen: nicht das Zentrum hatte sich letztlich auf die deutsche Perspektive konzentriert, sondern das Bonner Haus der Geschichte.3

In der Ausstellung des Hauses der Geschichte erkannten Medienvertreter ein Musterbeispiel an Diplomatie: Sie spare nichts Wesentliches aus und setze das Thema sehr nüchtern und emotionslos ins Bild. Lediglich die Berliner Tageszeitung sah die Schau in einer nicht ganz unproblematischen Position „zwischen Revisionismus, wachsendem Mitgefühl und medialer Aufbereitung“.4 Es fehle an der kritischen Betrachtung der Wirkung, die das Vertreibungsthema bis heute im In- und Ausland auslöse. Wesentlich vehementer bemängelte die Frauenrechtsorganisation „Medica Mondiale“, dass die Massenvergewaltigungen hunderttausender Frauen vom Haus der Geschichte totgeschwiegen würden. 5 Insgesamt waren die Kritiken für das Bonner Projekt aber überwiegend positiv. Insbesondere die Akzentuierung des Ausstellungskonzepts auf das Erinnern der nachfolgenden Generationen an Flucht und Vertreibung brachte den Ausstellungsmachern viel Lob ein, auch aus Polen.


Die Glocke des untergegangenen Flüchtlingsschiffs "Wilhelm Gustloff" musste zurückgegeben werden. Foto: dpa picture-alliance.
Um die polnische öffentliche Meinung bemühten sich auch die Kuratoren der Ausstellung „Erzwungene Wege“. Sie besprachen ihr Ausstellungskonzept schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit polnischen Historikern und Museen, stießen dort auf positive Resonanz und erhielten zahlreiche Leihgaben. Kurz vor Eröffnung erfolgte sogar eine Endabnahme der Schau durch eine polnische Historikerin. Diese zunächst guten Beziehungen verschlechterten sich nach Eröffnung der Schau jedoch dramatisch. Der neue polnische Präsident Lech Kaczynski sah die Ausstellung im deutlichen Widerspruch zu polnischen Interessen, und der Warschauer Bürgermeister sagte eine lange geplante Berlinreise u.a. mit der Begründung ab, die Ausstellung „Erzwungene Wege“ betreibe aggressive Geschichtsfälschung. Genährt wurde diese Einschätzung von polnischen Medienvertretern, die den Kuratoren fälschlich vorwarfen, dass die deutsche Kriegsschuld und der deutsche Angriff auf Polen in der Ausstellung nicht genannt würden. Politischer Druck aus Polen wirkte sich schließlich auf die Inhalte der Ausstellung aus: Das Warschauer Stadtmuseum, das zuvor dem Ausstellungskonzept zugestimmt hatte, und die polnische Küstenwache, von der die Schiffsglocke des gesunkenen Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“ entliehen wurde, mussten die Rückgabe ihrer Exponate verlangen.

Die deutsche Presse nahm es allerdings auch nicht immer allzu genau mit den Inhalten. Die Berliner Tageszeitung warf „Erzwungene Wege“ vor, dass der Generalplan Ost und die massive Hinwendung der Sudetendeutschen zum Nationalsozialismus nicht erwähnt wurden - beides war jedoch Teil der Ausstellung.6 Dass andererseits großflächige Vertreibungen von vornherein Bestandteil der NS-Politik waren und dies deutlicher hätte herausgestellt werden müssen, kann dagegen von den Ausstellungsmachern kaum widerlegt werden.


Demonstranten vor der Ausstellung "Erzwungene Wege". Foto: dpa picture-alliance.
Die innerdeutsche Debatte zur Ausstellung „Erzwungene Wege“ zeigt ambivalente Züge und wird vor allem durch die Positionen der beiden großen Parteien beeinflusst. So erkennt der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel in der Ausstellung das schiefe Geschichtsbild des Bundes der Vertriebenen, der sich damit für das Zentrum gegen Vertreibungen disqualifiziert habe.7 Für CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert ist die Ausstellung dagegen eine ausgezeichnete Visitenkarte für ein solches Zentrum. In der deutschen Öffentlichkeit führte das Ausstellungsprojekt zu teilweise heftigen Reaktionen und wurde von zahlreichen Demonstrationen sowohl linker als auch rechter deutscher und polnischer Gruppierungen begleitet.

Die heftige und nachhaltige öffentliche Diskussion um die beiden Ausstellungsprojekte zeigt, dass die Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung noch lange ein Thema sein wird. Das bestätigten auch die Pressekommentare“ und die Besucherbucheinträge“ zur Ausstellung „Aufbau West“ . Vor allem letztere würdigten aber gleichzeitig, dass der Schwerpunkt dieser Ausstellung auf der Nachkriegszeit, den Wiederaufbauleistungen der Flüchtlinge und Vertriebenen sowie ihren Spuren in der westdeutschen Aufnahmegesellschaft lag. Das Westfälische Industriemuseum setzte damit einen neuen Akzent in der Darstellung der Geschichte der Flüchtlinge und Vertriebenen, der die Debatte um die Aufarbeitung, Erinnerung und Darstellung von Flucht und Vertreibung zwar nicht ablösen wird, wohl aber über sie hinausweist.


Fußnoten

  1. Süddeutsche Zeitung vom 11.08.2006, Seite 11
  2. Spiegel-Online vom 06.12.2006
  3. Tageszeitung vom 12.08.2006, Seite 20
  4. Tageszeitung vom 10.12.2005, Seite 18
  5. Tageszeitung vom 12.04.2006, NRW-Teil Seite 2 und vom 12.08.2006 Seite 7
  6. Tageszeitung vom 12.08.2006, Seite 20
  7. Süddeutsche Zeitung vom 11.08.2006, Seite 11

 

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