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Texte


Nicola Kochhafen:
Die unmittelbare Sprache der Kunst und ihre Wurzeln im 20. Jahrhundert

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Die künstlerische Gattung des Environment gibt bei der Erweiterung des Objektes zur raumgreifenden Installation maßgebliche Impulse. Mit Relikten aus der Alltagswelt, zum Teil auch mit akustischen und technischen Medien werden hier Räume gestaltet, die für den Betrachter meist begehbar sind. Während George Segal in den 60er Jahren beginnt, mit Gipsfiguren und realen Gegenständen Alltagsmomente festzuhalten, schafft Edward Kienholz zur gleichen Zeit aus verschiedenen Materialien gesellschaftskritische Tableaus, irreale und oftmals provokative Horrorszenarien, die in ihrer Auseinandersetzung mit Tod, Krieg oder Rassismus menschliche Tragödien visualisieren, jedoch nur von einer Seite zu betrachten sind.

Eine besondere Rolle spielt der Raum in ortsspezifischen Installationen. In Auseinandersetzung mit den Konstanten von außermusealen Ausstellungsorten entstehen Kunstwerke, die nur an diesem Platz Sinn machen. Die Orte sind bereits geprägt von anderer Nutzung und ihrer geschichtlichen Vergangenheit und strahlen ihre eigene charakteristische Atmosphäre aus. Künstlerische Eingriffe verdichten die Erfahrbarkeit des ortsspezifischen Ambientes, schaffen neue Bezüge und Erlebnisqualitäten. Künstler aus unterschiedlichen Richtungen wie der Konzept-Künstler Daniel Buren oder der Spurensicherer Christian Boltanski lassen sich in ihren Arbeiten immer wieder neu auf vorgegebene Strukturen ein.

Sehr konsequent bezieht sich der Grenzgänger John Cage 1964 in seinen künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten auf räumliche Vorgaben: In seinen "Variations IV" verwendet er den Plan des zur Aufführung dienenden Raumes als Partitur. Die Begriffe "Klang-Raum" und "Raum-Klang" werden neu gefüllt, wenn die akustische Präsentation maßgeblich von räumlichen Determinanten der umgebenden Architektur bestimmt ist.

Angeregt von einer vorgefundenen Situation im Außenbereich des Marler Skulpturenmuseums ordnet Christina Kubisch in ihrer Klanginstallation "Zehn Klänge und ein Baum" dem natürlichen Raum eines Laubbaumes einen teils künstlich, teils natürlich erzeugten Klang-Raum zu. In Abhängigkeit von den äußeren Lichtverhältnissen erklingen aus Lautsprechern generierte Töne, die wie Vogelstimmen anmuten. Der umgebende Lichtraum wird so ins Auditive übersetzt, der künstlerisch-künstliche Klangraum vermischt sich mit den Real-Geräuschen der wirklichen Vögel.

Auch Ekkehard Neumann nutzt das Außengelände des Marler Skulpturenparks für seinen "Laufgarten". Die skulpturale, minimalistische Form des Ovals wird hier begehbar, durch den Handlauf fühlbar, durch das beim Gehen erzeugte Knirschen hörbar und zuletzt in der Anlage von stark duftenden Pflanzen auch riechbar. In der letztendlich absurd anmutenden Außeninstallation wird der Rezipient in den materiellen und immateriellen Raum der Skulptur integriert und kann die elementare Form des Ovals mit fast allen Sinnen wahrnehmen. Die Spannung zwischen Natur und Kultur bzw. Urbanität wird hier als ein erfahrbares, jedoch streng reglementiertes Mobilitätsangebot präsentiert.

Kein klares Formkonzept, sondern eine verwirrende Raumgliederung bietet Thomas Klegin dem Rezipienten bei seinem Installationsprojekt "_any - way <> every - where_". Ein labyrinthisch verschachteltes Gangsystem mit unübersichtlich vielen Türöffnungen stellt den Orientierungssinn des Besuchers auf die Probe. Raumwahrnehmung wird mittels Irritation gestört, aber auch neu sensibilisiert. Alltägliche Gefühle von Verunsicherung und Richtungslosigkeit werden interaktiv nachvollziehbar und begreifbar.

In den Satellitenkunstwerken von Rilo Chmielorz und Helmut Lemke wird deutlich, wie der Ausstellungsort des Werkes für seine Thematik und Aussage mitbestimmend sein kann. Die Klanginstallation "Kohle ?" von Rilo Chmielorz ist in der ehemaligen Lohnhalle der Zeche Zollern II/IV im Westfälischen Industriemuseum Dortmund angesiedelt und behandelt das Thema, entsprechend seiner sprachlichen und ortsbezogenen Doppeldeutigkeit, auf zweierlei Ebenen: in seiner ehemaligen Bedeutung als wertvoller Rohstoff und in seiner umgangssprachlichen Bedeutung für Geld. Im bereits erwähnten Werk von Lemke wird der ehemalige Schweinestall des Detmolder Freilichtmuseums zum Ausstellungsraum. Auch hier wird die ortsspezifische Thematik, insbesondere die historischen Funktionen der Räume, in die künstlerische Umsetzung einbezogen: Dort, wo früher die Schweine lebten, sind zivilisierte Schweinegeräusche zu hören. Dort, wo die Schweine starben und verarbeitet wurden, entsteht das laute, chaotische Schweinsorchester aus den nicht essbaren Resten des Schweins.

In Rita Kannes "SchrankWand" verbinden sich Innen- und Außenraum, Kunst-, Imaginations- und Realraum zu einer komplexen Raumeinheit, in die der Besucher ahnungsvoll verführt wird. Die tapezierten Wände einer Ecke des Marler Ausstellungsraumes leiten fast übergangslos zu dem gleich tapezierten Innenraum des Kleiderschrankes über. Zum Teil ist der Innenraum des Schrankes begehbar, zum Teil beinhaltet er wieder neue, kleiner dimensionierte Räume. Sowohl das Miniatur-Biedermeier-Wohnzimmer als auch das mit Holzimitat ausgekleidete Schrankinnenfach strahlen befremdliche Atmosphäre fernab von biedermeierlicher Heimeligkeit aus. Proportionen und Größenordnungen verschieben sich hier und regen nach ersten Irritationen zum Imaginieren in eigene und fremde Wohnwelten an.

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