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Texte


Nicola Kochhafen:
Die unmittelbare Sprache der Kunst und ihre Wurzeln im 20. Jahrhundert

Seite 7

Kunst-Erfahrung als interaktiver Prozess
oder: Die Chancen des Ausstellungsprojekts ‚Mit Sinnen’

"Ein Bewusstsein der eigenen Person entsteht aus einer gewissen Menge an Aktivitäten und nicht durch bloßes Nachdenken über sich selbst. Man muss es üben."5

Wozu kann die Betonung nicht-visueller Medien und interaktives Handeln im Kontext des Ausstellungsprojektes "Mit Sinnen" führen? Welchen besonderen Herausforderungen haben sich die Besucher der Ausstellung "Mit Sinnen" zu stellen? Was muss geübt werden?

Die herausgegriffenen Beispiele aus Marl bzw. den Satellitenorten machen folgendes deutlich: Um die Kunstwerke in ihrer Gänze zu erfahren, kann der Besucher nicht mehr in visueller Distanz verharren. Er muss die Arbeiten (auch) tastend, gehend, hörend und riechend erkunden. In den direkten, unmittelbaren Zugangsmöglichkeiten der Werke hängt die Erforschung olfaktorischer, auditiver, haptischer und räumlicher Faktoren stark von der Eigenaktivität des Besuchers ab. Diese Interaktion stellt sich als sehr individueller Prozess dar, dessen zeitliche Ausmaße und Erfahrungsqualitäten von der individuellen Disposition jedes einzelnen und den zufälligen Strukturen der Gesamtsituation abhängen. Entscheidend ist, dass keine der präsentierten Arbeiten ein in sich vollendetes Werk darstellt, sondern sich erst im Vorgang der Kunsterfahrung realisiert. Neben den künstlerischen Determinanten bilden Technik, Naturphänomene und Zufallsfaktoren die interaktiven Partner des Ausstellungsbesuchers. Beim Erleben vieler Installationen kann an alltägliche Erfahrungen, das heißt an Dinge, Geräusche und Prozesse der Alltagswelt angeknüpft werden. Irritation und Verfremdung als künstlerische Gestaltungsmittel sensibilisieren hierbei oftmals die Wahrnehmung und schärfen das Bewusstsein. Alle Installationen zeichnen sich durch Vielschichtigkeit und Multiperspektivität aus, sei es auf rezeptiver oder inhaltlicher Ebene. Und gleichzeitig erschafft jede neue Interaktion des Besuchers das Kunstwerk neu.

Jedoch bietet die Ausstellung noch mehr: In der Integration nicht-visueller Medien betreibt sie quasi Öffentlichkeitsarbeit für andere Wahrnehmungsmuster im Allgemeinen, für die Erfahrungswelt von blinden und sehgeschädigten Mitmenschen im Besonderen. Manche Installationen zielen sehr pointiert auf kommunikative Funktionsmöglichkeiten von Kunst. Die Kunstwerke können zu Katalysatoren für den Erfahrungsaustausch auch zwischen vorher unbekannten Besuchern bzw. Besuchergruppen werden. In der Entwicklung eines neuen Körper- und Selbstbewusstseins liegen auch die Chancen zur Wertschätzung anderer Wahrnehmungskulturen. Im allerbesten Falle stärkt die Ausstellung nicht nur den Austausch, sondern auch das Miteinander von sehenden und nicht-sehenden Kunstbesuchern und baut Berührungsängste zur Kunst, zu anderen Menschen und zur eigenen Person ab.

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