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Die Glasindustrie: Eine Bereicherung der westdeutschen Wirtschaft

Arnold Lassotta


Die westdeutsche Glasindustrie erreichte im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg ein im Vergleich zur übrigen Industrie überdurchschnittliches Wachstum. 1956 lag die Produktion von Flachglas bei 260 % der Erzeugung von 1936, die von Hohlglas sogar bei 346 %.1 Lag Ersteres an einer durch die lebhafte Bautätigkeit dieser Jahre bedingten Sonderkonjunktur für Fensterglas, spiegeln sich in der noch auffälligeren zweiten Zahl die Standortverlagerungen der Glasindustrie als Folge von Flucht und Vertreibung aus Ostdeutschland und dem Sudetenland bzw. der massenhaften Abwanderung aus der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR.

Die Glasindustrie, bestehend aus einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Produktionen, hatte sich im Laufe der Industrialisierung mit besonderen regionalen Schwerpunkten entwickelt. In Westdeutschland konzentrierte sich die Flach- und Behälterglasindustrie mit großbetrieblicher Serienproduktion in Mittel- und Ostdeutschland sowie im Sudetenland die Glasveredelung (Schliff, Gravur, Malerei, Glasschmuck), die Glasfabrikation (Hütten für mundgeblasenes Hohlglas) und die Spezialglasherstellung (Laborglas, Glas für medizinische und technische Zwecke, optisches Glas).

Die bemerkenswerteste Ansiedlung in Nordrhein-Westfalen befindet sich im Voreifelgebiet um Rheinbach und Euskirchen. Hier trafen sich frühzeitige Überlegungen der Stadtverwaltung von Rheinbach (Stadtdirektor Viktor Römer), eine „schornsteinlose Industrie“2 anzusiedeln, die den Charakter der Stadt nicht stören sollte, mit den Sondierungen einiger vertriebener Glasunternehmer und der Unterstützung der Landesregierung, die sich mit der Ansiedlung der nordböhmischen Glasveredlungsindustrie im Raum Rheinbach eine Bereicherung der westdeutschen Wirtschaft durch neue Exportindustrien erhoffte.3

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Armreifen aus Glas – günstiger Modeschmuck aus Gablonz an der Neiße, der nach 1945 in Bayern hergestellt wurde.
Armreifen aus Glas – günstiger Modeschmuck aus Gablonz an der Neiße, der nach 1945 in Bayern hergestellt wurde. Foto: Westfälisches Industriemuseum.

Weltberühmte Spezialindustrie

Die Industrie, die hier eine neue Heimat finden sollte, war eine weltberühmte Spezialindustrie. Seit dem 18. Jahrhundert hatte sich Nordböhmen zu einem Zentralgebiet der Glasfabrikation und Glasveredelung entwickelt. Die Glasarbeiter – Schmelzer, Schleifer, Graveure, Vergolder, Maler – besaßen ein hohes Maß an Kunstfertigkeit und handwerklicher Geschicklichkeit. Der große wirtschaftliche Erfolg des von ihnen erzeugten Zier- und Gebrauchsglases beruhte auf Qualität und Schönheit sowie einem weltweit organisierten Handelsnetz mit Niederlassungen in ganz Europa, dem Orient und in Übersee.

Zehn Jahre nach dem Kabinettsbeschluss vom 3. September 1947 über die Ansiedlung der Glasindustrie und die Errichtung einer staatlichen Glasfachschule bestanden im Raum Rheinbach-Euskirchen 35 Betriebe und Werkstätten für Glasveredelung, eine Kristall-Lüsterfabrik, eine große und drei kleinere Glashütten sowie die staatliche Glasfachschule Rheinbach. Auch wenn die Industrie selbst in den letzten Jahren an Bedeutung verloren hat und sich in Rheinbach nur knapp 600 Sudetendeutsche niedergelassen hatten, sind die industriellen Aktivitäten, die Fachschule und das 1968 gegründete Glasmuseum4 deutliche Zeichen für die strukturelle und kulturelle Bereicherung, die Rheinbach durch die Neubürger erfahren hat.

Ähnliches gilt für Borken, wo sich die Glashütte Urbainz aus Muskau, Schlesien, neu gründete. Sie hatte sich zunächst in Kassel niedergelassen. Als dort das zur Betriebserweiterung ursprünglich zugesagte Gelände nicht mehr zur Verfügung stand, verlagerte sie den Standort ins westfälische Borken, wo die Stadt ihr in der Grundstücks- und Wohnungsfrage weitgehend entgegenkam.5

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Neugründungen mit Ost-Know-How

Nach 1945 wurde eine Vielzahl solcher Hütten im Westen gegründet, in der Regel mit ostdeutschem Know-how. Genannt seien noch die Graf Schafgottsche Josefinenhütte und die Wiesenthalhütte in Schwäbisch Gmünd, die Dorotheenhütte in Wolfach, die Jolahütte in Euskirchen, die Glashütte Leichlingen oder die Gralglashütte in Dürnau. Wie bei den anderen Glassparten auch ging es bei ihrer Neuansiedlung für die Aufnahmegemeinden um die Verbesserung der lokalen oder regionalen Wirtschaftsstruktur und damit um zusätzliche Beschäftigung für einheimische Arbeitskräfte, für die Unternehmen um eine neue Existenzgründung sowie gegebenenfalls um den Versuch, einen vor dem Zusammenbruch berühmten Markennamen fortleben zu lassen.6 Vor allem aber galt es, die nach der Störung der alten regionalen Arbeitsteilung entstandenen Zulieferprobleme zu lösen. Zahlreiche westdeutsche Unternehmer standen vor der Frage, wie sie ihren Betrieb nach dem Wegfall ihrer traditionellen Zulieferer in Böhmen oder Schlesien fortführen sollten. Das war beispielsweise bei den 1930 gegründeten Gralglaswerkstätten in Göppingen der Fall. Für sie war nach dem Krieg der Bau einer eigenen Glashütte unverzichtbar. Schon 1946 ging der erste Ofen in einer stillgelegten Eisengießereihalle in Göppingen in Betrieb, was ohne die Glasmacher aus der Kristall-, Blei- und Hohlglashütte W. Kralik in Eleonorenhain im Böhmerwald nicht möglich gewesen wäre. Rolf Seyfang, der Inhaber der Gralglaswerkstätten, hatte sie aus einem Flüchtlingslager in Bayern nach Göppingen geholt. 1950 wurden in Dürnau eine zweite Hütte und die erste Gralglassiedlung errichtet. Ab 1955 produzierte nur noch die Dürnauer Hütte. Sie beschäftigte 400 Menschen, davon 74 % Heimatvertriebene. Zu Beginn der 1960er Jahre führte Arbeitskräftemangel zur Anwerbung von Arbeitern aus Portugal.7

Andere Bereiche der ostdeutschen oder böhmischen Glasindustrie waren im Westen vor allem als Exportindustrien begehrt. An erster Stelle ist hier die Gablonzer Schmuckindustrie zu nennen, deren Wurzeln in Böhmen bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen. Im 18. Jahrhundert gingen die dortigen Glasmacher dazu über, Glaskurzwaren herzustellen: Glassteine und -perlen, Glasknöpfe und Lüsterbehang. Um 1800 kam die Verarbeitung von Metallen zu Schmuck und Schmuckbestandteilen hinzu. 100 Jahre später war Gablonz eine Welthandelsstadt. 1937 exportierte sie Artikel im Wert von etwa 150 Millionen Reichsmark.8

Nach 1945 erhoffte man sich im Westen von der Ansiedlung dieser exportorientierten Veredlungsindustrie eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals in Devisen. Daher bemühten sich gleich mehrere Orte und Regionen um die vertriebenen Gablonzer. Die großzügigste Planung kam aus Solingen. Die „Struktur der Gablonzer Exportindustrie erfordert Konzentration auf und um einen Standort. Nur ein großes Sortiment bietet Aussicht auf Rückgewinnung der alten Märkte“, heißt es in einer Denkschrift des Solinger Oberbürgermeisters, die 1948 dem nordrhein-westfälischen Sozialministerium übermittelt wurde.9 Geplant war deshalb die geschlossene Ansiedlung der Gablonzer in Solingen. Ab 1948 sollten innerhalb von vier Jahren 20.000 Dreizimmerwohnungen, jeweils mit einer Heimarbeiterwerkstatt für 80 Millionen Reichsmark errichtet werden. Der Gesamtkreditbedarf für die Ansiedlung von 20.000 Familien wurde auf 200 Millionen Reichsmark geschätzt. Durch das Projekt erhoffte man sich neben der Schneidwarenindustrie einen zweiten größeren Industriezweig, „um gegenüber den scharfen Kurven der Weltkonjunktur krisenfest zu werden“.10 Im September 1948 besuchte der Solinger Oberstadtdirektor die Siedlung Trappenkamp in Schleswig-Holstein, um zu prüfen, ob im Rahmen einer Zuweisung von 500 Flüchtlingen Gablonzer aus Schleswig-Holstein nach Solingen geholt werden könnten11. In Trappenkamp waren die Gablonzer in einer ehemaligen Marine-Munitionsanstalt untergebracht. Etwa 600 Arbeiter lebten dort mit ihren Familien in Bunkern und Behelfsheimen. Eine Glashütte stand kurz vor der Inbetriebnahme. Nach Solingen wollten die Gablonzer aus Trappenkamp jedoch nur, „wenn ihnen annehmbare Wohnungen zur Verfügung gestellt würden“. Die für den Anfang in Aussicht gestellten Massenquartiere lehnten sie ab. Solingen verfolgte das Projekt, das letztlich an der Kapitalvernichtung durch die Währungsreform scheiterte, ungeachtet der Tatsache, „dass ein kleiner Teil der mehr als 100.000 Ausgewiesenen des Gablonzer Bezirks in den Resten der ehemaligen Dynamitfabrik bei Kaufbeuren bereits die Produktion wieder aufgenommen hat.“12

Schon im Juli 1945 hatte Erich Huschka aus Neudorf, Kreis Gablonz, eine Denkschrift zur Ansiedlung der Gablonzer Glas- und Schmuckwarenindustrie in Bayern vorgelegt und vorab etliche in amerikanischer Hand befindliche ehemalige Rüstungsareale untersuchen lassen. Im Dezember einigten sich die verantwortlichen Stellen, auf dem Gelände der ehemaligen Dynamit AG in Kaufbeuren eine Siedlung für vertriebene Handwerker aus Gablonz zu errichten. Trotz anfänglicher Widerstände aus dem bayerischen Wirtschaftsministerium und zeitweiligem Ansiedlungsverbot zogen Gablonzer verstärkt nach Kaufbeuren. Da das DAG-Gelände von Amts wegen nicht frei zu bekommen war, griffen sie zur Selbsthilfe und gründeten im Juni 1946 die Allgäuer Glas-, Metall- und Schmuckwaren GmbH sowie die Aufbau- und Siedlungsgesellschaft, die das Gelände von den Amerikanern auf 25 Jahre für 2.000 Reichsmark monatlich pachtete. Ab 1952 hieß die neue Siedlung Neugablonz und entwickelte sich zur bedeutendsten Gründung der vertriebenen Gablonzer und ihrer Industrie im Westen.13 Heute hat der Ort circa 15.000 Einwohner.

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Milchflaschen für Babys, äußerlich kaum zu unterscheiden, hergestellt in Jena und in Mainz.
Milchflaschen für Babys, äußerlich kaum zu unterscheiden, hergestellt in Jena und in Mainz. Foto: Westfälisches Industriemuseum.

Umnutzung ehemaliger Rüstungsanlagen

Die Umnutzung der ehemaligen Rüstungsanlagen zu Wohn- und Industriezwecken war eine gewaltige Herausforderung für die Gablonzer, insbesondere die Herrichtung der Bunker. Keinem kaufmännisch denkenden Menschen „wäre es in normaler Zeit eingefallen, Mühe und Geld in diese Kästen zu stecken. Man mache nur den Versuch! Die Wände sind von einer Härte, dass es z. B. einer halbstündigen Arbeit bedarf, um nur einen Nagel haltbar anzubringen. Und zwei Tage Arbeit mit den modernsten Pressluftwerkzeugen sind erforderlich, um nur ein Fenster in den Stahlbeton der lichtlosen Bunker zu brechen“.14 Ein weiteres Problem war der Kapitalmangel, besonders nach der Währungsreform, die die eventuell noch vorhandenen Reichsmarkbestände entwertete. Darunter litten insbesondere die Exporteure, denn sie hatten außer ihren Adresskarteien keine Sicherheiten zu bieten. Dass diese Karteien aber mit am wertvollsten waren, begriffen viele Banken und Sparkassen zunächst nicht.15

Nicht alle Gablonzer landeten allerdings im Westen. Die Siegermächte hatten vereinbart, dass die vertriebenen Sudetendeutschen teils in der amerikanischen, teils in der sowjetischen Zone Aufnahme finden sollten. Ein Teil der Gablonzer Schmuckwarenhersteller wurde daher in den Kreisen Quedlinburg und Gotha der späteren DDR schwerpunktmäßig angesiedelt. Auch hier schätzte man den besonderen Charakter der Gablonzer Industrie und erwartete von ihr einen wirtschaftlichen Umschwung für den Landkreis.16 Militärareale standen nicht zur Verfügung, so dass die Neusiedler unter großen Schwierigkeiten in den Dörfern des Thüringer Waldes verteilt wurden. Aus den Transporten durften die Beauftragten der Ende Dezember 1945 in Gotha gegründeten Schmuckwarengenossenschaft „Bijou“ geeignete Fachleute heraussuchen und in den Kreis Gotha leiten. Nicht-Spezialisten wurden abgewiesen.17 Der Bijou als Einkaufs- und Liefergenossenschaft gehörten in den 1950er Jahren fast 200 Betriebe mit 1.300 Beschäftigten an. Als sich ab 1958/59 Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) bildeten, wurde auch die Bijou 1967 zur PGH Bijou und 1972 zum volkseigenen Betrieb umgewandelt, der nachmaligen VEB Thüringer Schmuck. Dieser VEB wurde Anfang der 80er Jahre dem Kombinat Kulturwaren mit Sitz in Markneukirchen im Vogtland angegliedert, zu dem Musikinstrumenten-, Souvenir- und Spielwarenhersteller, Pinsel- und Bürstenbinder gehörten. Mit der Treuhand kam 1990 das endgültige Aus.18

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Zug der 41

Aus dem Gebiet der ehemaligen DDR in den Westen übergesiedelt sind nach dem Krieg vor allem zahlreiche Spezialglashersteller, teilweise von Weltrang. Bereits kurz nach der Kapitulation hatte eine 3.000 Mann starke Truppe des westalliierten Generalstabs in über 5.000 Einrichtungen deutsches Know-how aus allen Bereichen der Wissenschaft und Technik ausgekundschaftet. Zu den inspizierten Betrieben gehörte auch das Jenaer Glaswerk Schott und Genossen, wo die Alliierten umfangreiche Unterlagen über Glaszusammensetzungen, Schmelzdaten, Fertigungsverfahren, Patentschriften und vieles mehr requirierten.19 Wichtige Teile der Produktion sollten in ein seit 1943 im Aufbau befindliches Zweigwerk nach Zwiesel in der amerikanischen Zone verlagert werden. Um Komplikationen mit der nachfolgenden sowjetischen Besatzungsmacht in Thüringen zu vermeiden, wurde dieser Plan zwar wieder verworfen. Die Führungskräfte sollten jedoch nicht im Gebiet des möglichen künftigen Gegners bleiben. So entschieden sich die Amerikaner für die „geistige Demontage“, die Deportation der führenden Köpfe des Glaswerks nach Westdeutschland. 41 Spitzenkräfte wurden am 25. und 26. Juni 1945 auf Militärlastwagen in den Westen gebracht, mit ihnen 84 Spezialisten des Schwesterunternehmens Carl Zeiss und zahlreiche Wissenschaftler der Universität Jena.20

Nach der Demontage des Jenaer Werkes durch die Sowjetunion und seiner nachfolgenden Enteignung durch die DDR folgten weitere Fachkräfte und Spezialisten diesem „Zug der 41 Glasmacher“ – teils aus materiellen, teils aus politischen Gründen, teils wegen der neuen sozialistischen Betriebsführung: „Von früh bis spät“, schrieb ein Glasspezialist, der in den Westen gegangen war, „gibt es nur politische Werksnachrichten, politische Diskussionen, politische Versammlungen und politische Schulungen. So erzieht man keinen Menschen zu einem politischen System, so verärgert man ihn und so nimmt man ihm die Freude an der Arbeit. Dazu kommt die Unsicherheit, die jeden Verantwortlichen bedrückt. Gerade ich habe es am eigenen Leibe verspürt, dass ich entweder den hunderterlei Vorschriften entspreche oder aber dem unbürokratischen Weg der wirtschaftlichen Erfordernisse folge. Was wissen diese Nurpolitiker von den Dingen der Wirtschaft!“21 Die Flüchtlinge aus Jena bildeten die personelle Grundlage für ein neues Hauptwerk im Westen. Als Standort wurde nach Verhandlungen mit zahlreichen interessierten Städten, darunter auch Düsseldorf und Gelsenkirchen, Mainz ausgewählt. Ein Kredit von 15 Millionen DM aus dem Marshall-Plan ermöglichte den Aufbau des neuen Jenaer Glaswerks, das am 10. Mai 1952 eröffnet wurde.22

Politisch-ideologischer Druck, wirtschaftliche Not und die Enteignungswelle, die selbstständiges Unternehmertum unmöglich machte, veranlassten auch viele Spezialglashersteller des Thüringer Waldes um Ilmenau, in Westdeutschland noch einmal neu anzufangen. Einige ließen sich in der Nähe alter Glasindustrie nieder, z. B. in Gelsenkirchen.23 Eine geschlossene Ansiedlung gelang durch kommunale und staatliche Planungen in Wertheim am Main.24 Die Stadt, der Landkreis Tauberbischofsheim und das Land Baden wollten die Gelegenheit nutzen, „welche wirtschaftsgeschichtlich gesehen sich höchstens alle paar hundert Jahre einmal ereignen wird, [nämlich] zu einem gewissen Teil das beste Erbe einer langen technischen Industrieentwicklung eines Landes zu übernehmen“.25 Auf 42.000 m² entstand im Wertheimer Stadtteil Bestenheid, „wo im Oktober 1949 noch die letzten Hackfrüchte geerntet wurden“, ein Zentrum der Glasindustrie mit Glashütte und Fabriken für 1.800 Beschäftigte, dazu eine Gewerbeschule, ein Glaseichamt, Wohnblöcke und Siedlungen samt öffentlichen Gebäuden und kirchlichen Einrichtungen. Wertheim verdreifachte dadurch seine Einwohnerzahl von 3.800 bei Kriegsende auf 11.800.26

Die vertriebenen oder geflohenen Glasfachleute erweiterten im Westen die Produktpalette bestehender Glasstandorte oder ließen völlig neue Produktionszentren entstehen – neben den bereits erwähnten auch in der westhessischen Region zwischen Limburg und Wiesbaden. Alle profitierten von der Ansiedlung einer weltberühmten Exportindustrie, an deren hochqualifizierten Spezialisten im übrigen auch das Ausland Interesse hatte: Ein Teil der Gablonzer Schmuckwarenhersteller z. B. ging nach Schweden, Kanada und England.27 Um Fachleute der thüringischen Spezialglasindustrie mit ihrer weltweiten Monopolstellung bemühten sich Argentinien, Belgien, Holland, Frankreich, die Schweiz und die USA.28

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Biografische Beispiele

Josef Ebert
Franz Wendler
Ernst Schneider (Name geändert)
Heinrich Paul (Name geändert)
Fritz Hudler




Fußnoten

  1. Kohl 1961, S. 71.
  2. Rheinbach feiert seine 100jährige Glasfachschule, in: Bonner Rundschau Nr. 254, 30. Oktober 1956.
  3. Sommer 1997; Glasfachschule1956; Sozialminister des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 18. Mai 1948, HStAD, NW 7, Nr. 285, fol. 136.
  4. Irmscher 1995.
  5. Urbainz 1954, S. 99f; Akte Urbainz 1952–1972, Kreisarchiv Borken.
  6. Wegen des Namens der ehemals schlesischen Josefinenhütte stritt man sich in Holzminden und Wertheim. Vgl. Schreiben Olly Oltmanns, Steinheim/Westf., vom 2. Juli 1950, StAW, Stadt Wertheim, Archiv Az 781.32.
  7. Gralglas-Museum o. J.; Hudler 2002, S. 298 ff.
  8. Oberbürgermeister von Solingen, Denkschrift über die Ansiedlung der Gablonzer Industrie im Stadtbezirk Solingen, HStAD, NW 7, Nr. 285, fol. 153; WWA, K 1, 2485.
  9. Ebd.
  10. Ebd., fol. 154.
  11. Dienstreisebericht, ebd., fol. 120 ff.
  12. Denkschrift, wie Anm. 8, fol. 154.
  13. Vgl. Rössler 1979 und 1999.
  14. Lindner 1950, S. 24.
  15. Otto Barbarino (Zeitzeuge), in: Kern / Schmidt 1999, S. 132.
  16. Denkschrift Palme vom 30. Oktober 1945. KraG, Rat der Stadt Gotha, Stadtarchiv
    591-2A.
  17. KraG, noch unsignierte Akte „Kreisrat Gotha, Ostumsiedler“, 9. September 1946, 3. Oktober 1946.
  18. Isergebirgler 2000.
  19. Schott 2003, S. 8.
  20. Ebd., S. 10. Im Oktober 1946 folgte die sowjetische Militäradministration dem Beispiel und deportierte 15 Spezialisten ins Glaswerk Lytkarino bei Moskau.
  21. Schott Wa, 11. September 1951; ebd., Akten 9/105 – 9/108, 7. Juni 1950; zu den Lebensmittelzuteilungen vgl. ebd., 29. September 1949 und 15. Juli 1950.
  22. Schott Wa, 11. September 1951, S. 16/17.
  23. StaGE, Chronik der Stadt Gelsenkirchen 1947, S. 129.
  24. Vgl. Löber 1970 und Kirchner 1999.
  25. Bericht über die Ansiedlung von Thüringer Glasindustrie in Wertheim/Baden (Karlsruhe, 8. Juni 1949), StAW, S III 781.30, S.11.
  26. Stuttgarter Nachrichten Nr. 249 vom 27. Oktober 1955, StAW, S III 781.30.
  27. HStAD, NW 7, Nr. 285, fol. 120 ff.
  28. Wie Anm. 26, S. 10.

 

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