Hunger, Krankheiten und Perspektivlosigkeit charakterisierten die Situation der Städter kurz nach dem Krieg. Mit dieser Situation waren auch die ersten Flüchtlinge und Vertriebenen konfrontiert, die manchen Städten trotz Zuzugssperre bereits 1945 zugewiesen wurden. Noch im selben Jahr richteten die Kommunen die ersten Flüchtlingsämter ein, um den speziellen Anforderungen der Flüchtlingsbetreuung gerecht zu werden.5 Ende 1947 zählte man in Dortmund bereits 13.500 Flüchtlinge und Vertriebene.6 Sie lebten unter anderem in Sammelunterkünften, die provisorisch in Turnhallen, Schulen und Kneipensälen eingerichtet wurden – und teilweise noch viele Jahre in Betrieb blieben. 1953 schwankte die Belegungsziffer in Essener Sammelunterkünften zwischen 27 und 133 Personen.7
Versorgung mit Kohle wirkte sich sehr nachteilig aus8, denn ohne Kohle konnte kein Stahl, kein Ziegel und kein Zement hergestellt, kein Strom erzeugt werden. Schließlich fehlten qualifizierte Baufacharbeiter – in Essen beispielsweise war 1945 mit 10.537 Bauarbeitern nur noch ein Drittel des Vorkriegsbestandes übrig geblieben.9 Um hier Abhilfe zu schaffen, richtete man kurzfristig „Umschüler-Lehrgänge“ ein.10 Dem Mangel an Baustoffen suchte man durch das Recycling von Bauschutt zu begegnen. Die aus den Trümmern recycelten Ziegel fanden in den ersten Nachkriegsjahren auch guten Absatz und kompensierten zum Teil die Minderleistungen der Ziegeleibetriebe. Gesäuberte Recyclingziegel erzielten 1947 auf dem Markt die stattliche Summe von 100 Mark für 1.000 Stück.11 Viele Ziegeleien nutzten die material- und energieschwachen Nachkriegsjahre, um ihre Produktionsmittel instand zu setzen. Nach der Währungsreform und Aufhebung der Zwangswirtschaft entwickelte sich für sie eine bescheidene, aber relativ stabile Auftragslage.12 Dennoch lag die Auslastung der Ziegelwerke auch 1949 erst bei 60 %.13
hieß Trümmerbeseitigung, Platz schaffen für den Wiederaufbau. Arbeitskräftemangel in der Bauindustrie, die Unterernährung der verbliebenen Beschäftigten, fehlende Materialien, Baumaschinen, Werkzeuge und Transportmittel sowie die schlechte Beschaffenheit der vorhandenen Bau- und Bauhilfsstoffe ließen jedoch schon diese Arbeiten nur langsam vorangehen. Beim Wohnungsbau kamen weitere Probleme dazu: Es mangelte an Finanzierungsmitteln, so dass sich die ersten Baumaßnahmen auf notdürftige Reparaturen und Instandsetzungen zerstörten Wohnraums und Industrieanlagen, insbesondere von Zechenanlagen, beschränken mussten. Auch die schlechte14, verzeichnete der Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen ab 1950 einen deutlichen Aufschwung. Auch die Maschinenbauindustrie war ab 1951/52 wieder in der Lage, dringend benötigte Baumaschinen zu liefern, so dass auf den Baustellen vermehrt wieder Maschinen eingesetzt werden konnten.15 Mit 348.000 Beschäftigten im Jahre 1950 avancierte das Bau- und Baunebengewerbe zu einem der wichtigsten Arbeitgeber in Nordrhein-Westfalen.16 Der Aufschwung im Wohnungsbau war direkt gekoppelt an die Finanzierungsfrage. Insgesamt kalkulierte man einen Kapitalbedarf von 2,5 Mrd. Mark. Davon sollte die öffentliche Hand 1,2 Mrd. beisteuern, der private Kapitalmarkt 650 Mio., die Kreditinstitute 220 Mio. und 400–450 Mio. durch Eigenkapital und Selbsthilfe der Bauwilligen erbracht werden.17
in der Bauindustrie ging von der Währungsreform aus. Obwohl die Baustoffindustrie selbst 1951 noch unter unzureichenden Kohlezuteilungen zu leiden hatteMit der Verabschiedung des 1. Bundeswohnungsgesetzes vom 24.4.1950 erhielt die staatliche Wohnungsbaupolitik ihre gesetzliche Grundlage. Aber erst das zweite Bundeswohnungsgesetz aus dem Jahre 1956 enthielt die programmatische Grundsatzvorschrift, dass der Flüchtlingswohnungsbau besonders zu fördern sei. Gleichwohl fielen noch vor Verabschiedung des ersten Bundeswohnungsgesetzes eine ganze Reihe wohnungspolitischer Entscheidungen, die Flüchtlingen und Vertriebenen helfen sollten, wieder zu einer eigenen Wohnung zu kommen. Dazu gehörte unter anderem die Förderung von Wohnungsinstandsetzungen, des Um- und Ausbaus von Gebäuden zu Kleinwohnungen oder des Baus von Kleinsiedlungen.18
Da Nordrhein-Westfalen insbesondere im Zuge der Umsiedlungsmaßnahmen nach 1948 immer wieder große Kontingente an Flüchtlingen und Vertriebenen aus den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachen und Bayern aufzunehmen hatte,19 entwickelte sich die Frage der Unterbringung dieser Menschen zu einem zentralen Thema für die Landesregierung. Die eigene Wohnung stellte neben der Arbeit einen wichtigen Integrationsfaktor dar: Die Integration der Heimatvertriebenen konnte nur gelingen, wenn beides vorhanden war. Ziel der Landesregierung – und ein Schwerpunkt ihrer Wohnungsbauförderung – war daher, Flüchtlinge und Vertriebene dort anzusiedeln, wo sie als Arbeitskräfte gesucht wurden. Damit konnte sie gleichzeitig Gebiete entlasten, in denen es für die überschüssige Bevölkerung keine Arbeitsplätze gab. Im Rahmen dieser Bestrebungen erfuhr folgerichtig der Werkswohnungsbau eine besondere Unterstützung. Um beispielsweise die Kohlegewinnung im Bergbau zu erhöhen und die erforderlichen zusätzlichen Arbeitskräfte anwerben zu können, verabschiedete die Bundesregierung am 23.10.1951 das Gesetz zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaus im Kohlenbergbau.
20 Aus wohnungs- und arbeitspolitischen Gründen wurden Sonderprogramme für den Flüchtlingswohnungsbau erforderlich, die weitgehend aus Bundes- und Lastenausgleichsmitteln finanziert wurden. Insgesamt sind in Nordrhein-Westfalen zwischen 1952 und 1960 34,7 % der mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnungen an Flüchtlinge und Vertriebene gegangen;21 darunter waren auch spezielle Neubauprogramme. Allerdings zogen nicht immer Flüchtlinge und Vertriebene in die für sie erstellten Neubauwohnungen ein: Als 1953 in Essen 580 Wohneinheiten bezugsfertig waren, die im Rahmen eines zusätzlichen Wohnungsbauprogramms für DDR-Flüchtlinge mit staatlichen Fördermitteln erstellt wurden, gab es Überlegungen, diese Wohneinheiten doch eher der Essener Bevölkerung zugute kommen zu lassen und die Flüchtlinge in den freiwerdenden Altbauten unterzubringen, da man sie nicht besser stellen dürfe als die einheimische Bevölkerung.22 Andererseits schien auch manch eine Flüchtlingsfamilie im Lager geblieben zu sein, um die Miete für eine ihr zugewiesene Neubauwohnung zu sparen, so dass die von ihr zu beziehende Wohnung mit einer Familie aus einem nicht berechtigten Personenkreis belegt wurde.23
innerhalb Deutschlands und die Einweisungen von DDR-Flüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen verschärfte in den Ruhrgebietsstädten die Wohnungssituation zunächst einmal dramatisch: Der Wohnungsbau konnte mit diesem Ansturm nicht mithalten. 1952 fehlten immer noch Tausende von Wohnungen und die Zwangsbelegung von Wohnräumen mit mehr als vier Personen war nach wie vor weit verbreitet.Der anhaltende Wohnraummangel in den Städten und die verbesserte Versorgungslage in der Baustoffindustrie begünstigten eine dynamische Expansion auf dem Bausektor und bescherten diesem seit 1954 überdurchschnittliche Wachstumsraten.24 Obwohl viele Flüchtlinge und Vertriebene neben dem Bergbau auch im Baugewerbe Arbeit fanden, bestand seit Mitte der 1950er Jahre akuter Bauarbeitermangel. Trotz Schichtbetrieb auf den Baustellen und fortschreitender Mechanisierung konnte die Bauindustrie das zu bewältigende Bauvolumen nicht schaffen. Schon bald begann sie, Arbeitskräfte aus anderen Gegenden Deutschlands anzuwerben, ab 1955 auch ausländische Arbeitskräfte, insbesondere Italiener.
25 Insgesamt etwa 75 % der Mittel aus dem Lastenausgleichsfond – das Gesetz wurde am 18.8.1952 verabschiedet – flossen in den Wohnungsbau, und etwa 30 % der öffentlich geförderten Wohnungen wurden von Flüchtlingen und Vertriebenen bezogen.26 Dabei kam es darauf an, Haus- und Wohnungstypen zu entwickeln, die mit geringem technischen Aufwand, kurzen Vorbereitungszeiten und wirtschaftlich günstig zu erstellen waren. Die Größen der Mietwohnungen stiegen von 1952 – 1955 kontinuierlich an. 1955 besaßen 70 % der Neubauwohnungen bereits mehr als 50 m² Wohnfläche.27 Auch ihre Ausstattung wurde moderner: Die Kochküche oder „Kleinstküche“ löste die ehemalige Wohnküche ab, gewohnt wurde nun im Wohnzimmer, und die Wohnungen erhielten innenliegende Badezimmer mit WCs.
veränderte sich zum einen das Gesicht der Innenstädte, weil die Planer den durch den Bombenkrieg verursachten Kahlschlag vorausschauend dazu nutzten, die Zentren gleich autogerecht neu zu konzipieren. Zum anderen entstanden an den Peripherien der Städte, wo zahlreiche neue Siedlungen für Einheimische und Zuwanderer gebaut wurden, ganz neue Stadtteile. Der Massenwohnungsbau, der von Baugenossenschaften und Wohnungsbaugesellschaften vorangetrieben wurde, dominierte in den 1950er und 1960er Jahren den Wohnungsbau in Nordrhein-Westfalen. Nie wieder war der Anteil der Wohnungen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden, so hoch wie in diesen Jahren. So wurden allein die in Dortmund zwischen 1948 und 1967 errichteten 134.069 Wohnungen zu 73 % mit öffentlichen Mitteln gefördert.Reine Flüchtlingssiedlungen oder Flüchtlingsstädte blieben in Nordrhein-Westfalen die Ausnahme – wie etwa die Siebenbürger Sachsen-Siedlung in Herten-Langenbochum, eine Werkssiedlung des Bergbaus, oder die Stadt Espelkamp in Ostwestfalen, die auf dem Gelände einer ehemaligen Munitionsanstalt entstand. Flüchtlinge und Vertriebene getrennt von der einheimischen Bevölkerung unterzubringen widersprach der Flüchtlingspolitik des Landes, sie dort unterzubringen, wo es keine Arbeitsplätze für sie gab, seiner Arbeitsmarktpolitik. Die Werkssiedlung in Herten entsprach zumindest der Arbeitsmarktpolitik, in Espelkamp lebten die Flüchtlinge und Vertriebenen dagegen nicht nur für sich; hier gab es auch keine Arbeitsplätze. Sie sollten durch die An- bzw. Umsiedlung heimischer Industrien geschaffen werden. Das Land beteiligte sich an diesem wesentlich von der evangelischen Kirche vorangetriebenen Projekt vor allem deshalb, weil es dazu beitrug, die Industrialisierung einer noch weitgehend ländlichen Region voranzutreiben.30 In Bayern dagegen entstanden auf ehemals militärisch genutzten Arealen eine ganze Reihe von Flüchtlingsstädten wie etwa Bubenreuth, Geretsriet, Neutraubling und Neugablonz, wo Heimatvertriebene ihre Unternehmen und Gewerbebetriebe wieder aufbauten. Hier nutzte die Landesregierung das wirtschaftlich-technologische Potenzial der Flüchtlinge und Vertriebenen gezielt zur regionalen Strukturverbesserung. Die Flüchtlingsbetriebe entwickelten sich zu wichtigen Wirtschaftsfaktoren in der Region. Sie boten im Laufe der Zeit auch der alteingesessenen Bevölkerung neue Arbeitsplätze, wie das Beispiel Neugablonz deutlich macht: Von den 4.300 Arbeitnehmern, die 1976 hier in den Betrieben der aus dem Sudetenland zugewanderten Schmuckindustrie arbeiteten, pendelten täglich 2.130 Personen aus 63 Nachbargemeinden ein.31 Auch Espelkamp entwickelte sich in den 1950er Jahren zu einem wichtigen industriellen Arbeitgeber in der Region.
Helene Kamolz
Ulrich Thater
Siegfried Winkel
Albert Rygol
Jost Hubert
Gerhard Lorenz